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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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machen, oder durch jemandes Gnade. Sogar mein Bruder Woldemar hat es aus eigener Kraft geschafft – immerhin zum General im Korsakowschen Korps. Er wurde gerade zurückerwartet, als ich, nach sechs Jahren Dienst auf englischen Schiffen, wieder einmal bei meiner Sippe einkehrte.
    Ich wettete, daß er mich nicht mehr kannte, und verabredete mit den Schwestern, sie sollten mich als englischen Offizier in Zivil vorstellen, der in Rasik vorgesprochen habe, um dem Helden von Zürich Respekt zu erweisen. Die Komödie gelang, Woldemar erkannte mich nicht, war aber beflissen, mir nicht nur in bestem Englisch zu antworten, sondern auch sein taktisches Genie vor Augen zu führen. Nun sind die Unsern leider bei Zürich im zweiten Anlauf so tüchtig geschlagen worden, daß sie über alle Hügel flohenund dabei sogar ihre Kriegskasse zurückließen. Aber dem guten Woldemar genügten seine taktischen Siege so sehr, daß er meine Fragen als Beleidigung der russischen Ehre empfand und den unverschämten Gast
forderte
.
    Ich nahm den Handschuh in britischer Ruhe auf und trieb die Sache so weit, daß wir uns am nächsten Sonnenaufgang in der Taxusallee wirklich mit der Pistole in der Hand gegenüberstanden. Da erst warf sich mein gutes Malchen schreiend ins Mittel und gab mich dem Bruder zu erkennen. Das Lachen, zu dem Woldemar sich aufraffte, war nicht eben herzhaft, und die Waffe in seiner Hand zeigte mir deutlicher als viele Worte, wie es um mein Heimatrecht in Rasik stand.
    Nun kommt mir das Englische in der Tat leichter über die Lippen als meine deutsche Muttersprache – vom Russischen zu schweigen, das ich nie beherrscht habe; denn in guter Gesellschaft haben wir natürlich Französisch gesprochen. Zur Sprache des Feindes ist sie für mich nie geworden, außer im Mund des dümmsten russischen Adels.
    Sie haben Dringenderes zu tun, als diesen Brief zu lesen. Als Regent zweier Majestäten haben Sie immer Wichtigeres zu tun gehabt, als sich um meine Existenz zu kümmern. Darum überwältigt es mich ein wenig, daß Sie mich plötzlich bemerken; daß Sie meinen Brief in
Cobbett’s Political Register
zur Kenntnis nehmen, den ich nicht einmal gezeichnet habe, und daß Sie mir
eine Verwendung
anbieten.
    Oder habe ich nicht recht gelesen? Wofür glauben Sie, mich verwenden zu können? Und, wenn Sie mir den unverfrorenen Zusatz erlauben: mit welcher Vollmacht? Sie haben sich nach dem Unfall des Zaren selig aller Ämter entschlagen und auf Ihre Güter zurückgezogen, aus freien Stücken, wie es heißt; ich will es glauben. Aber wie könnte der junge Zar, dem Sie endlich auf den Thron Katharinas geholfen haben, auf die Dauer Ihre Dienste entbehren, Ihren Rat?
Arrêtez de jouer – reignez!
Damit sollen Sie den jungen Mann
hochgerissen
haben, als er vom Ende seines Vaters erschüttert, von der Herrschaft, die ihm mehr drohte als blühte, geknickt war. MeinePariser Freunde zitieren das
mot
mit Ehrfurcht, und dazu gehört bei Franzosen allerhand.
    Was hat es, aus solchem Mund, zu bedeuten, daß Sie mir eine
Verwendung
anbieten? Doch könnten Sie es tun, wenn Sie über mich nicht längst Bescheid wüßten? Sie kennen ja sogar meine Adresse im
Angleterre
, von der ich bis vor kurzem selbst nicht gewußt habe. Der Nachtportier, der mir Ihren Brief zusteckte, sagte: Aber schweigen Sie und händigen Sie mir Ihre Antwort
persönlich
aus. Was ist er für eine Persönlichkeit? Das ist etwas viel des Unerhörten; wozu wollen Sie mich
verwenden?
Und wie kann ich Ihnen signalisieren, wofür ich
nicht
zu gebrauchen wäre?
    Vorweg, Exzellenz: mir droht ein gewisser Termin. Ich habe wieder mit Pistolen um die Ehre Rußlands anzutreten, und wieder gegen einen Kontrahenten, der unter Ehre etwas anderes versteht als ich. Nur handelt es sich diesmal nicht um einen Scherz unter Brüdern. Fürst Fjodor Tolstoi, noch nicht zwanzig, hat schon mit siebzehn sein erstes Duell ausgetragen, mit Todesfolge für den Gegner, und trifft den Vogel im Flug. Auch darin unterscheiden wir uns, entschieden zu meinem Nachteil. Der Fall, der mir naturgemäß auf der Seele liegt, droht, die Möglichkeit meiner Verwendung stark zu begrenzen. Doch reden wir von meinem Pamphlet.
    Warum läßt jemand, ein Niemand wie ich, einen Brief über große Politik in
Cobbett’s Political Register
drucken? Wofür will er bürgerlich gutstehen, wenn auch nicht gerade mit seinem Namen? Aber welchen Namen hätte ich mir gemacht?
    Seit Iwan dem Schrecklichen greift Rußland nach Sibirien, bis an

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