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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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hineingekippt– mit den nötigen Zeremonien, sonst wären Männchen und Weibchen erblindet. Aber war es getan, so stürzten sie sich aufeinander und vögelten nach Herzenslust. Das Paradies war noch einmal gerettet. Aber im Dorf bastelte man bereits an der nächsten Bahre und wob die nächste Decke, denn auch die Lust nach dem Tabu stirbt nicht aus, und niemals ist der Krater arbeitslos geworden.
    Die Höhle von Steenfoll, sagte Rikord. – Angeblich ist sie ganz in der Nähe.
    Sie ist immer ganz in der Nähe, sagte Löwenstern. – Die Lade der ungenannten Dinge ist überall und nirgends.
    Aber der Barmann sagte, Green liege selbst unter der Decke, sagte Rikord.
    Tatsächlich wurde er wohl in aller Stille von seinem Medizinmann behandelt, sagte Löwenstern. – Und als er geheilt war, praktizierte ihn die Phantasie der Nukahiwer auf die Bahre. Kontaminationen sind bei Wandersagen nicht ungewöhnlich. Jetzt setzen sie die Praxis in Portsmouth fort und glauben selbst an ihre Wirkung; Sie haben es an George bemerkt. Er soll der Sohn eines Königs sein – natürlich hieß er auf Nukahiwa anders, doch er hat seinen Namen vergessen. Engländer könnten ihn doch nicht aussprechen.
    Interessant, sagte Rikord.
    Es war still geworden im
Foreign Correspondents’ Club
; das Feuer im trojanischen Kamin war niedergebrannt bis auf ein paar Reste von Glut; auch Golownin stand auf, zog seinen Waffenrock an und steckte die Pfeife in die Tasche.
    Nur noch eins, Löwenstern, sagte Rikord, der sitzen geblieben war. – Wo hat Green seinen Schaden her?
    Vom täglichen Kampf mit seinen Engeln, sagte er. – Wie soll er den Aberglauben von Leuten besiegen, die ihn vergöttern? Jede Nacht glauben sie, ihn wieder zur Kur schleppen zu müssen, wie damals auf Nukahiwa. Dabei ist er unheilbar.
    Also: der Narwal war es nicht, sagte Rikord.
    In diesem Augenblick stand George vor ihnen. Seinem unbewegten Gesicht war keine Müdigkeit anzusehen.
    Herr Chlebnikow hat schon bezahlt, sagte er. – Nur Ihr Tee ist noch offen.
    Rikord und Golownin klaubten Kleingeld hervor; Löwenstern machte keinerlei Miene dazu. Aber auch er war aufgestanden.
    Ich danke, sagte er, das war die Nacht meines Lebens.
    Wann reisen Sie nach Paris zurück? fragte Rikord.
    Erst lese ich noch ein wenig, sagte Löwenstern. Golownin legte ihm die Hand auf die Schulter.
    Reden macht müde. Sie sollten jetzt besser schlafen.
    Für uns lohnt es sich nicht mehr, sagte er, als sie vor dem Tor standen. Wieder eine Nacht durchgemacht.
    Das Gaslicht brannte jetzt fast unsichtbar, denn das Morgenrot stand in der Himmelslücke über dem Hof.
    Bald gibt es Krieg, sagte Golownin.
    Auf getrennten Schiffen, Wasja, sagte Rikord. – Wie soll man das überleben.
    Wir waren schon einmal stärker als der Krieg, sagte Golownin.
    Rikord deutete auf das Wirtshausschild über ihnen, das kalt im ersten Tageslicht glänzte. – Siehst du, was ich sehe? fragte er.
    Die Fliege auf dem Einhorn war nicht mehr gewappnet und trug auch keinen Dreispitz mehr. Es war unverkennbar die verkleinerte Gestalt Greens, welche die Zügel in der Hand hielt, und die gestiefelten Beine mußten wiederhergestellt sein, denn sie umschlossen den Pferdeleib mit starkem Griff.
    Golownin lächelte. – Sieh einer an. Er kann doch, wenn er will.

II
Paris. Das Duell

    1 Exzellenz,
Ihr Brief hat mich sehr überrascht. Wer hätte gedacht, daß Sie sich nach fünfundzwanzig Jahren noch an das Kind erinnern, das Sie im Mai 1777 in St. Johannis aus der Taufe gehoben haben. Es hat meinem Vater Spott und Häme eingebracht, daß er sich erlaubte, einen Mann wie Sie für diesen Dienst in Anspruch zu nehmen. Ihre Erhebung in das hohe Staatsamt stand bevor und rückte das Löwensternsche Familienfest ins schiefe Licht einer gewissen Spekulation. Gott hat unsern Stamm zwar ordentlich wachsen lassen, aber den Boden, auf dem er gedeihen soll, nicht ebenso vermehrt. So habe ich ihn als Seeoffizier wohl oder übel verlassen und dabei meine Grenzen kennengelernt; um auf Wasser zu
gehen
, dazu gehört eine andere Statur. Ich bin viel herumgekommen und ebensooft gestrandet, vorzugsweise im Hafen. Es kommt vor, daß ich mich mit fünfundzwanzig schon zu alt fühle für das Leben, das ich mir als Bub vorgenommen habe. Bin ich noch ein freier Mensch oder nur noch einer, den nichts und niemand mehr hält?
    Auf Ihre Protektion, Exzellenz, habe ich nie gebaut. Auch scheitern möchte ich lieber auf eigene Rechnung, als auf jemandes Kosten mein Glück zu

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