Loewenstern
Goldbrokat. Wie aus einem Gemälde getreten, zeigt sie sich in der Kulisse unseres Exzerzierhofs, ein Schrittchen vor den Herren der Admiralität, die mitten im Sommer wie eingefroren wirken, nur die Federbüsche auf den Dreispitzen rühren sich im Wind. Katharina die Große ist nach Kronstadt gekommen, um zwei Linienschiffe zu taufen. Jetzt geruht sie, die Huldigung der Kadetten entgegenzunehmen.
Wir sind in einer Doppelreihe angetreten, hinter uns zwei Tage Scheuern, Wichsen und Wienern. Jetzt haben wir den Paradegriff geschmettert und stehen erstarrt, ohne Erlaubnis, nach der kaiserlichen Erscheinung auch nur zu
schielen
.
Ich, ich allein muß mich rühren. Ich darf der Kaiserin ein selbstverfaßtes Gedicht vortragen, ein Lob der Flotte, unter Verwendung eines historischen Motivs. Es feiert einen Gaius Duilius, der Pflugscharen zu Schiffsrudern schmieden ließ, um das alte Rom seetauglich zu machen. Denn nur auf dem Wasser ist die Handelsherrlichkeit des üppigen Karthago zu brechen. Die Erfindung von Enterbrücken aber erlaubt dem Bauernvolk, wie auf dem Lande zu kämpfen. Darin sind sie unüberwindlich. Und wir Russen werden es auch sein.
Ich halte das Modell einer Ehrensäule in der Hand. Das Original wurde ein halbes Jahrtausend vor Christus auf dem römischen Forum aufgestellt, geschmückt mit den Schnäbeln erbeuteter Schiffe. Rußland ist der bäurische Herkules, der die Ketten des neuen Karthago sprengen wird; ich brauche es nicht mit Namen zu nennen. Ich ende mit einer Huldigung an die kommende Herrin der Meere. Sie ist schon mitten unter uns.
Gewiß hat keiner ihrer Würdenträger auch nur ein Wort verstanden.Aber die Kaiserin, klassisch gebildet, blickt mir in die Augen. Als ich mich auf ein Knie niederlasse, um ihr das Gebilde zu überreichen, zieht sie es an die Brust und mich mit der andern Hand auf die Füße. Ich stehe so dicht vor ihr, daß ich ihren Atem spüre. Ihr weißer Handschuh streicht über die Auswüchse der kleinen Siegessäule.
Votre nom?
Einen Augenblick läßt mich der mädchenhafte Laut sogar meinen Namen vergessen. Löwenstern, hauche ich. – Sie sind ein Dichter, sagt sie auf deutsch. – Leider nein, Majestät. – So bescheiden? nachdem Sie so dreist waren, mich als Republikanerin zu feiern? Duilius war Republikaner, oder nicht? Das wäre ich nur zu gern – aber mein Hof erlaubt es nicht. – Die Herren im Hintergrund erheben ein hüstelndes Gelächter, und die Kaiserin berührt meine Wange.
Dann wandte sie sich so plötzlich zum Gehen, daß wir uns beeilen mußten, in das eingeübte Hurra auszubrechen. Die Musik schmetterte ihr den Tusch schon in einen leeren Hof nach.
Am Abend befahl mich der Kommandant zu sich und eröffnete: übermorgen sei ich zum Vortrag bei Ihrer Majestät bestellt. Er beurlaube mich sofort, damit ich mich präparieren könne. Ich begann zu zittern. Was für ein Mißverständnis! Wenn ich je deutsche Verse gemacht habe – nur für den engsten Kreis, und immer nur für bestimmte Gelegenheiten. – Dann betrachten Sie die Audienz als Gelegenheit, sagte der Kommandant, die Majestät wünscht, Ihren Text im Original zu hören. Machen Sie uns Ehre, Fähnrich Löwenstern!
Ich verstand nicht sogleich, daß ich soeben befördert worden war, und er salutierte, als hätte mich die ungeheure Gunst schon zu seinem Vorgesetzten gemacht. Ich bekam eine Barke nach Oranienburg, eine Kalesche nach Zarskoje Selo. Sie wurde verhängt, als wir uns dem Sommerpalast näherten. Als ich ausstieg, befand ich mich auf der Gartenseite, wo eine Nebentür aufging; ein livrierter Graubart führte mich wortlos durch menschenleere Marmorhallen. Meine Absätze tickten wie Knöchelchen beim Totentanz. Hinter einer Portiere nahmen mich zwei junge Damen in Empfang. Ihre Füße mit rotlackierten Nägeln steckten in Goldsandaletten. Sie trugengelbseidene Mäntelchen, die mit chinesischen Vögeln bestickt waren, und ihre Gesichter waren ernst. Ermolai? fragte die eine, ich bin Sonja, und sie heißt Tanja. Dürfen wir dich zu einer kleinen Erfrischung einladen? – Ich bin zu Ihrer Majestät bestellt, erwiderte ich, Sie erwartet mich um drei, und ich darf mich nicht verspäten. – Aber sie selbst könnte sich verspäten, erwiderte eine der Damen, und es ist uns erlaubt, dich so lange zu unterhalten. Willst du es dir nicht bequem machen? – Aber es gab nur eine Ottomane, die mit einem Leopardenfell bedeckt war. So blieb ich verwirrt stehen; auf französisch duzt man ja nur Kinder
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