Loewenstern
dafür kein Wort Russisch nötig hatte. Seither ist er ein wahrer Kenner unseres Landes. Mich lassen die Herren als Engländer passieren. Ich brauche nur schwermütig zu nicken, wenn man mir
beweist
, daß meine Flotte schon geschlagen ist. England hat keine Männer mehr; Bonaparte aber ist einer, auch wenn man sonst kein gutes Haar an ihm läßt. Die Rolle des Zuhörers ist im
Ecart
immer frei.
Wie konnte ich da in den allerdümmsten Ehrenhandel geraten?
Durch Schweigen am falschen Ort, Exzellenz. Ich habe nicht nur schweigend geschehen lassen, wie man unsere allerhöchste Familie lästerte; ich habe gar nicht zugehört. Als ein bestimmter Name fiel, geriet ich ins Träumen.
Kürzlich feierte unser Club den Sturm auf die Bastille; keiner dachte an Heimkehr zu seiner besseren Hälfte. Wir sprachen dem
claret
zu, wie er in der
Royal Navy
heißt; für Nogier bleibt es ein Bordeaux, den man eigentlich nicht mittrinken darf, wenn man weder Jahrgang noch Lage kennt, nicht einmal den Gutsbesitzer persönlich. Nogier verbreitete sich über Gatschina und die Hochzeit des Großfürsten Pawel. Die aufwartende Dienerschaft habe sich für jeden Gang neu kostümiert, zur Vorspeise als Kosaken, zum Fisch als
boatsmen
, zum Wild als preußische Riesengarde, zum Fleisch als habsburgische Panduren, zum Dessert als Mamelucken. Der Großfürst habe sie Spießruten laufen lassen, um der Braut gleich vorzuführen, wer Herr im Hause sei, seiner Mutter Katharina zum Trotz. Sie war mit dem höchsten Adel angerückt, um dem Fest jenen Glanz zu verleihen, dessen der Sohn so sichtbar ermangelte. Nun hielt sie ihm schon die zweite Frau zu, aber auch diese hatte nur die Pflicht, der Zarin passende Enkel zu schenken. – Jetzt wäre es soweit, Pawel ist weg, ihr süßer Alexander sitzt auf dem Thron, der Eroberung der Welt steht nichts mehr im Wege – wie traurig, daß sie nicht mehr da ist, es zu erleben. Sie habe sich wohl einen Mann
zuviel
zugemutet – mit dreiundsiebzig sollte eine Frau ihre Grenzen kennen.
Das Gelächter der Runde war schon gaumig, als einer bemerkte: Ach, diese Romanows!
Welche
Romanows? fragte Nogier. Schon Katharina, die mehr oder weniger reine Deutsche, habe sich ihren Nachwuchs von ganz anderen Kerlen besorgen lassen als ihrem traurigen Peter – wenn der denn noch ein Romanow war! Denn auch sein Mütterchen sei keine Kostverächterin gewesen. Er selbst habe für Friedrich den Großen geschwärmt, den er aus dem Schneider zog, seine einzige Tat und angemessen schwachsinnig – und was der Große von Frauen gehalten habe, sei ja durch fehlenden Nachwuchs ausreichend bezeugt: weniger als von seinen Windhunden!
Plötzlich stand dieser junge Mann an unserem Tisch, in der Uniform eines russischen Gardeoffiziers, ließ die Reitgerte gegen sein Hosenbein schnellen und wandte sich geradezu an mich.
Graf Tolstoi, sagte er.
Löwenstern, erwiderte ich, womit kann ich dienen?
Sie sind Russe? fragte er auf französisch.
Livländer, sagte ich.
Also ein Untertan Seiner Majestät. Und hören sich ruhig an, wie sie mit Füßen getreten wird?
Hier ist die Rede frei, sagte ich.
Und im nächsten Augenblick traf mich ein Schlag, daß ich Feuer vom Himmel schießen sah. Die Gerte hatte mein linkes Auge knapp verfehlt, aber es begann, sich zu verschließen. Ich wollte dem Jüngling an den Kragen, doch Nogier hielt mich fest. Monsieur! keuchte er, was erlauben Sie sich –!?
Tolstoi würdigte ihn keines Blicks. – Sollte ich Sie beleidigt haben, Herr
von
Löwenstern? fragte er lächelnd.
Sie
können
mich nicht beleidigen, stieß ich hervor.
Damit
haben
Sie
mich
beleidigt, sagte er. –
Tant mieux
. Machen wir es aus. Ich erwarte Ihren Sekundanten im
Alsace
.
Er warf seine Visitenkarte auf den Tisch und klirrte aus dem Raum.
Darauf lassen Sie sich natürlich nicht ein, fauchte Nogier.
Ich bitte Sie, mein Sekundant zu sein, sagte ich.
Sie sind verrückt! sagte er, aber seine Augen glänzten, und er hatte das Kärtchen schon behändigt. Und fast augenblicklich verwandeltesich der Stammtisch in eine angeregte Verschwörung. Im republikanischen Frankreich sind Duelle noch verbotener als anderswo, das macht sie unwiderstehlich.
Was aber war der Grund meiner unverzeihlichen Absenz? Habe ich eine Majestät beleidigt? Ich habe von einer geträumt.
Sie schwebt mir immer noch vor den Augen, kleingewachsen, doch von unermeßlichem Format. Sie scheint zu schweben, denn ihre Füße verdeckt eine grün geschlitzte Robe aus
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