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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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und Dienstboten. Die Damen bereiteten am Fenster eine Limonade zu und gaben sich auffallende Blößen, doch keinerlei Mühe, sie wieder zu bedecken. Unter den Mänteln trugen sie nichts als nackte Haut.
    Sie dienen hier? fragte ich ebenso rauh wie dümmlich, während mir Sonja das Glas reichte und wie verschämt mit mir anstieß.
    Wir sorgen dafür, daß Sie nichts entbehren, sagte die andere, die sich auf die Ottomane niedergelassen hatte. – Wir versichern uns Ihrer Bereitschaft, einer außergewöhnlichen Situation zu begegnen, ergänzte Sonja, schon fast an meine Brust gelehnt, und als sie sich zurückbog, um mir in die Augen zu sehen, preßte sie ihre Hüften an mich. – Eine kleine Leibesvisitation, sagte es von der Ottomane her, das kennen Sie auch bei den Soldaten, und die unsere wird gnädiger sein. – Ich gehöre zur Marine, brachte ich heraus. – Sehen Sie, schmeichelte Sonja, dann dürfen Sie sich doch wehrhaft zeigen. – Und schon hatte sie mit flinken Bewegungen meinen Gürtel gelöst, begann, mir das Kamisol aufzuknöpfen, und ehe ich mich’s versah, stand ich im Unterzeug da.
Voyons
, sagte Sonja und begann, mich zu streicheln,
voilà un homme
, flüsterte sie mit gespielter Andacht.
Comme vous avez envie! Donc, allez-y! On est prêt à vous servir
.
    Doch ich hatte mich gefaßt und zerrte mein Beinkleid mit beiden Händen wieder in die Höhe, wohin es gehörte. Zur Kaiserin bestellt – und weiß nichts Besseres zu tun, als pflichtvergessene Zofen zu petschieren?
    Natürlich hätte ich nichts Besseres zu tun gehabt, Exzellenz, daswurde mir hinterher nur zu deutlich. Mein Bestes hätte ich tun müssen, damit die Damen berichten konnten, ob ich mich auch für eine Kaiserin schicke. Dergleichen Geschichten pfiffen in Petersburg die Spatzen von den Dächern; das Lied war auch in die Wärmkammer der Kadetten gedrungen. Aber wer es nachgesungen hätte, wäre schon auf dem Weg nach Sibirien gewesen. Ich aber hätte das Undenkbare nicht zu denken brauchen – ich stand ja schon auf der Schwelle, es zu
tun.
Ich hätte den Lauf der Dinge nur der Natur überlassen müssen, einer Göttin, der nur die Kaiserin ungestraft huldigen darf. Doch der keusche Joseph begriff nichts von seinem Glück.
    Hätte ich der letzte Günstling der Großen werden können? Im November desselben Jahres schloß sie die Augen für immer. Hätte sie mich zuvor noch zum Generalgouverneur von Bessarabien erhoben? Hätte ich in Estland wenigstens noch zwei Dörfer dazukaufen können? Aber wäre ich davon ein anderer geworden?
    Eine ältere Frau – daran war nichts gelegen. Auch Isabelle, meine Witwe, ist die Jüngste nicht mehr. Was hat mich so berührt, wenn nicht ihr Ausdruck von Verlassenheit? Erst seit dem Tod der Kaiserin fange ich an, es zu fassen: eine Verlassene war auch sie. Nogiers Stammtisch unterstellt zu Unrecht, daß ihr Sterbebett ein Liebesnest war. Sie ist in niemandes Armen gestorben, sondern allein und lange unbemerkt.
    Was ist Liebe? Die Frau aus Zweibrücken wollte es mit mir erfahren haben und danach sogar für zwei wissen. Doch ihre Errungenschaft,
hélas
, wurde nicht die meine. Ich habe jeden Tag weniger von mir gegeben, und dabei verliere ich immer mehr.
    Auch diese Wahrheit hat mit der Ehre Rußlands nichts zu tun. Für Tolstois Rechnung bin ich die falsche Adresse. Aber ich bin bereit zu zahlen.
    Habe ich Ihnen etwas Neues erzählt? Es war gewiß Ihres Amtes, jeden Liebhaber der Zarin im Auge zu behalten. Sie müssen auch solche mitgezählt haben, die es nur
beinahe
geworden sind. Der unterbliebene Genuß konnte einem Kandidaten nicht wenigerden Hals brechen als der vollendete. Gründe, die Majestät zu verschmähen, gibt es noch weniger, als sie zu besitzen. Erst hinterher habe ich das hohe Seil gesehen, auf dem ich getappt bin.
    Vielleicht hat mir nur der Tod der Zarin das Leben gerettet.
    Wie oft hätte ich es seither verlieren können? Schlachten habe ich auszuweichen gewußt, doch ist mein Leben davon sicherer geworden? Aber warum sollte mein Ende weniger sinnlos sein, als es mir bei allen vorgekommen ist, die ich habe fallen sehen? Auf keinem Feld der Ehre, nur als Opfer ihres Gehorsams – das heißt, der Angst, einem Befehl zuwiderzuhandeln? Dann kräht kein Hahn mehr nach ihnen, und daran tut er recht.
    Mit der Witwe hätte ich noch lange gut leben können, nur war es nicht
mein
Leben – und plötzlich, mitten in der Nacht, ertrug ich es keinen Augenblick länger. Im Negligé floh ich auf die

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