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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Schloß Belvedere gezogen hat, damit er begabten Nachwuchs zu Staatsmännern ausbilde.
    Das große Haus in Weimar, das dieser Löwenstern gemietet hat, führt seine Frau, geborene von Gersdorff, eine ebenso schöne wie ehrgeizige Person. Ihren Salon frequentiert auch der Herzog, denn die Gesellschaft ist zwanglos, wofür vor allem die Schauspielerinnen sorgen. An spielfreien Abenden, aber auch nach einer Vorstellung pflegt man sich bei der Löwenstern zusammenzufinden und feiert oft bis in die Puppen – am liebsten ohne den Hausherrn, der zur Eifersucht neigt, wofür ihm seine lebenslustige Frau einigen Anlaß bietet. Zwar sucht er vor geistigen Strapazen das Weite, ist ohnehin viel in Geschäften unterwegs, gefällt sich aber darin, einelustige Gesellschaft mit unangekündigter Rückkehr zu überraschen. Dann kann sie nicht einmal die Gegenwart hochgestellter Personen vor einer peinlichen Szene bewahren.
    Im Frühling der Jahrhundertwende nutzte ich einen Urlaub vom Dienst, um erst Berlin, dann Weimar zu besuchen, und wurde von der Löwenstern gastfrei aufgenommen. Es hätte nicht fehlen dürfen, daß ich Goethe begegnete, der als Theaterdirektor auch für Wohlbefinden und Betragen der Aktricen zu sorgen hat. Da sie sich aber bei Löwensterns einer mehr als ausreichenden Aufmerksamkeit des Landesherrn erfreuen, hält Goethe Abstand und zeigt sich nur, um bald wieder zu gehen. So kam es nicht zu einer vertieften Unterhaltung, die ich ersehnte, und ich war kühn genug, mich geradezu in seinem Haus am Frauenplan anzusagen.
    Am vereinbarten Tag – ich werde ihn nie vergessen! – hatte er bereits melden lassen, daß er unpäßlich sei. Aber da meine Wirtin das Kärtchen verschlampt hatte (ein Billett von Goethe verschlampt! heute mein teuerster Besitz!), ging ich ahnungslos hin und zog an der Klingel. Der Diener Geist, der mir auftat, hatte schon die Absage wiederholt, als der Hausherr hinter ihm auftauchte, im grauen Flanellrock, aber das Jupiterhaupt
impeccable
hergerichtet, und mit sonorer, wenn auch belegter Stimme sagte:
Den lasse mer nei. Komme-Se, Herr von Löwestern. Uff e halb Stündsche. Geist, schaff mer noch e klaa Gedeck
.
    Als er mich beim Arm nahm und mich, trotz einer gewissen Leibesfülle, fast bübisch hüpfend die Treppe hinaufführte, schauderte ich wie zuvor erst einmal in meinem Leben, und hätte ins Parkett versinken mögen, als er mir erst durch ein gelbes Speisezimmer voranschritt, dann linker Hand durch eine weißgerahmte Tür in einen blauen Musiksalon, den bis zur halben Höhe ein gemaltes Geländer mit gelbem Rautenmuster umlief. Schließlich gelangten wir ins hinterste, türkisfarbene Zimmer der Frontseite, wo er mir einen Sessel anbot. Da lag auch ein aufgeschlagenes Portefeuille auf dem Tisch; im hochlehnigen Sofa ließ sich der Hausherr nieder und schmiegte sich behaglich in die Ecke, während ich mich kaum traute, die Lehne zu berühren. Durchs Fenster sah ich buntgekleideteMenschen sich auf dem Frauenplan ergehen. Gerade war ich selbst noch einer von ihnen gewesen, jetzt aber entrückt, zu einer andern Ordnung erhoben, die sich in einer Flucht verschiedenfarbiger Räume vor mir öffnete, jeder weiß gerahmt, jeder zugleich ein Bildersaal, aus dem Gemälde und Statuen herübergrüßten, aus dem nächsten überlebensgroß der aus leeren Augen gebieterisch blickende Kopf einer schneeweißen Juno. Zugleich befand ich mich in einer Gegenwart, die mich erstarren ließ, obwohl sich Goethe mit herzlichem Bariton nach dem Nächstliegenden erkundigte, meiner Familie, Reval, meinem Dienst, meinen Plänen; ich war auf den Mund geschlagen. Als er mich fragte, was mich zur Marine gezogen habe, klang es wie ein Wunder oder ein Schwachsinn, den sich kein vernünftiger Mensch erklären konnte.
    Wegen Gulliver, stieß ich hervor; und fing an, den Sturm zu schildern, der Lemuel Gulliver auf dem Weg durch den Südlichen Ozean gepackt und ihn an den Strand der Riesen geworfen hatte. Unverhofft wurde ich beredt, als ich den Schiffbrüchigen vor mir sah, plötzlich klein wie ein Insekt, im Weizenfeld verloren unter turmhohen Halmen, bevor ihn eine Magd aufklaubte und mit riesiger Hand auf die schwindelnde Höhe ihrer Augen beförderte. Ich redete mit Gefühl, denn die Proportionen entsprachen der Szene, in der ich mich wirklich befand.
    Gerade der Sturm ist es, der Sie angezogen hat? fragte er mit weit offenem Blick, in dem ich plötzlich meine Kinderzeit gespiegelt glaubte. Ich berichtete recht fließend

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