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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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den pompösen Tempel eingeschlossen. Die Juden seien eindrucksvoll nur in der nomadischen Form ihrer Patriarchenzeit, bedeutend nur im Zustand ihrer Zerstreuung.
    Hatten sie nicht auch dem Juden Jesus die Anerkennung als Gottesgestalt verweigert, damit Gottes eigene Opferbereitschaft geleugnet? Bei seinem Zürcher Bekenntnis verstand Horner den Spaß nicht, der ihm über die Konkurrenz im rechten Glauben locker vom Munde ging. Auch Horner hatte seinen Garten, auf den er nichts kommen ließ, um den Preis, daß er alles, was er dafür nicht verwenden konnte, als Müll behandelte und aus seinem Blick entfernte. Freilich war sein Schutzgebiet, zur Schweiz passend, eher berg- und stromförmig, weshalb er dem Nil oder den Wassern Babylons mehr abgewinnen konnte als der Wüste oder einem japanesischen Steingarten. Doch seine wahre Liebe blieb das Meer, das er in Zürich am meisten entbehrt zu haben schien. Daß es keine glückliche Liebe war, bewies er mit häufigen Anfällen von Seekrankheit, aber auch bei Sturm und Schwindel gab er Lot und Sextanten nicht aus der Hand. Sein Rettungsmittel war die Meßkunst, sein Fluchtpunkt der gestirnte Himmel, an dem sein frommer Sinn die einzige, wenn auch sehr entfernte Konvergenz von Mathematik und Christenglauben festmachen konnte. Er hatte es nötig, über die Natur hinauszuwachsen, und doch mußte sie Gegenstand wissenschaftlichen Interesses bleiben. Unsere Spaziergänge in Nukahiwa waren nur zu beispielhaft für die Spaltung der Welt, unter der er litt, wenn auch nie ohne Scham. Hier der Blick durch den Theodoliten, in dem die Natur ein ordentliches Gesicht annahm. Dort, zum Glück außer Sicht, der Müllberg der gefallenen Natur, in dem sich Fleisch mit Fleisch zusammenwarf, zur Schadenfreude der dunklen Göttin, der die Heiligkeit der Seele geopfert wurde.
    Und nun komme ich zu diesem Sakegeschirr, seinem Geschenk an Nadja; der Dank eines nichtzahlenden Freiers. Wenn er das wüßte – wie hätte er sich geschämt! Aber es paßte zu ihm, daß es etwas von einem Tabernakel hatte.
    5 Etwas wie Scham hatte sich auch zwischen Nadja und mir eingeschlichen – jedenfalls zeigte sie sich, nach unserer heiligen Handlung, mehrere Tage nicht mehr. Doch immer, wenn ich nach Gartenarbeit und Wasserguß wieder in meine Höhle trat, stand das Speisetablett warm auf dem Tisch; sie mußte jeden meiner Wege im Auge behalten. Das Menü war Hausmannskost geworden, und ich appetitlos; oft genügte es, Hackfleischbällchen, Linsen oder Hirse, Kartoffelbrei und grünen Salat nur anzusehen, und schon war ich satt.
    Allmählich wurde Lustlosigkeit zum Dauerzustand; ich begann zu hängen, zu kränkeln. Die Schulterwunde hatte sich zwar verschlossen, doch recht heilen wollte sie nicht, als wäre das Fleisch nachhaltig vergiftet. Es begann wieder zu schwellen und blieb so empfindlich, daß ich schon den
Gedanken
einer Berührung nicht ertrug. Ich ging nicht mehr in den Garten, schon die Helligkeit des Waschsaals tat meinen Augen weh; nachts machte mich die nervöse Erschöpfung schlaflos. Dafür überfiel mich am Tag die Mattigkeit schon, kaum hatte ich mich an den Schreibtisch gesetzt. Ich hatte Mühe, die Feder aufzunehmen, und es fiel mir immer weniger ein,
wozu
. Am liebsten bewegte ich mich gar nicht, sondern blieb in halbfiebrigem Zustand auf dem Bärenfell liegen; er erinnerte mich an einen, der noch schrecklicher gewesen war als Archangel: etwas wie Tropenfieber oder Malaria, Lebenskoller, Bewußtlosigkeit. In meinen Dämmerzuständen sah ich mich austrocknen wie meinen verlassenen Garten und erinnerte mich an Goethes «edlen Tithonos», der im Bett der Göttin zum Wurzelmann eingelaufen war.
    Auch die Männlichkeit ruhte eingewintert in ihrem Versteck, und ich wurde zu schwach, sie zu entbehren. Um so mehr überraschtesie mich mit einem unerwarteten Aufstand. Hatte sie ein schwüler Traum munter gemacht? Ich erinnere mich nur daran, daß ich meinen Leibknecht, erst ungläubig, wieder bei Kräften fühlte und ertappte ihn dabei, daß er sich, warm umfangen, schon auf dem Weg zum Ziel seiner Wünsche befand. Solche hatten mir gerade noch so fern wie möglich gelegen – nun schossen sie ein wie frischer Saft in einen morschen Stamm. Der plötzliche Frühling riß mir die Augen auf; ich sah mich auf dem Bärenfell liegen, Rosenfinger waren ohne Hast damit beschäftigt, meinen Knecht in einem weiblichen Schoß, Zoll für Zoll unterzubringen; schon war er so gut wie verschwunden. Als ich ihm herzhaft

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