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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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auf diesem Weg in die Selbstvergessenheit gesehen, wenn sie von meinen wissenschaftlichen oder zeichnerischen Gaben nicht genug bekommen konnten. Ich habe versucht, sie nicht zu enttäuschen, und das Herz tat mir weh. Denn dabei hat ihr Gesicht das Unvergleichliche verloren und einen Allerweltszug angenommen. Sie haben es schon weit gebracht und würden rasch noch weiter kommen, aber die Richtung wäre die falsche, und es quälte mich, daß ich auf diesem Weg wie ein Wegweiser, ja wie ein Vorbild aussah.Ich hätte sie gern mit allem Nötigen ausgestattet, einem Europäer
nicht
zu folgen, denn die Verlockung, die ich darstellte, führte sie in eine Gefangenschaft, die viel heilloser war als meine eigene. Wenn sie keine Ahnung davon hatten, was ihnen bekam, ich hatte sie, und es wäre meine Pflicht gewesen, sie mit meinem besten Wissen von ihrem fatalen Wissensdurst zu heilen.
    Ein vermessenes Projekt; und wenn ich nicht wahrhaben wollte, daß es mich überforderte, mußte ich es erfahren. Ich habe mich damit von meinen Russen für immer getrennt, ohne bei den Japanesen landen zu können. Diese Meister der Scham haben die Scham, mit der ich ihren Wohltaten begegnete, nicht fassen können; sie glaubten, ein Fremder könne dazu gar nicht fähig sein. Doch es war mir ernst, wenn ich sagte, daß ich mich ihrer edelmütigen Behandlung nicht würdig fühlte. Und nachdem ich, als unerwünschter Agent ihrer Sache, mich von den eigenen Leuten entfernt hatte, galt ich ihnen auch noch als anmaßender Egoist, der kein Vertrauen verdient. Denn Gemeinschaft bleibt für sie das Maß aller Dinge, und nach ihren Gründen pflegen sie nicht zu fragen
.
    Ich war für Freund und Feind verächtlich geworden; sagen Sie selbst, wie Ihr Sohn damit leben soll? Sie haben mich dazu erzogen, das Gemeine zu scheuen, in jeder Form; ich versuchte, den Japanesen zu ersparen, sich mit der Haltlosigkeit unserer Zivilisation gemein zu machen, und stand am Ende in ihren Augen wie der Gemeinste und Haltloseste da. Sie trieben das schwarze Schaf zu seiner Herde zurück; mochten sich jetzt wieder die Kameraden des Irrläufers annehmen
.
    Das taten sie nach Vermögen, liebe Mutter, als wir nach Kamtschatka unterwegs waren. Sie schworen, michnicht zu verraten und mir auch nichts nachzutragen; sie hielten meinen Irrsinn der Gefangenschaft zugute. Jeder mildernde Umstand wurde mir zugestanden, und jeder vernichtete mich noch mehr. Ich kleidete mich als gemeiner Mann, was auch die Matrosen in ihrer Verachtung nur bestärkte. Der Gedanke an Petersburg war unerträglich; ich erklärte, mich auf Kamtschatka als Bauer niederlassen zu wollen. Sie sperrten mich ins Haus des Gouverneurs und versprachen sich von seiner jungen Frau eine wohltätige Wirkung auf meinen Zustand, aber ich erschreckte sie so, daß sie mich als Unhold verstieß. Da es hier kein Irrenhaus gibt, nahm sich der Pope meiner an. Aber Langeweile macht mich nicht bußfertig. Möge wenigstens die Pietät der Zensoren dafür sorgen, daß dieser Brief in Ihre Hand kommt. Wenn sein Inhalt sträflich ist: ich habe die Höchststrafe schon vollstreckt
.
    Leben Sie wohl, liebe Mutter! Sie haben Ihr Bestes aus mir gemacht – ich lege mein Leben jetzt in eine Hand, für die es gut genug gewesen sein wird. Mit meinem Tod verlieren Sie mehr als ich, darum schenke ich Ihnen die einzige Träne, die ich dafür habe
.
    Ich küsse Ihre Hand, für immer Ihr treuer Sohn
    Fjodor
    Die penible Hand der alten Dame hatte nicht gezittert und sich kein einziges Mal verschrieben.
    4 Der Brief lag noch auf dem Tisch, als Nadja ohne Klopfen eintrat. Sie lief auf mich zu und fiel mich an wie eine tolle Hündin. Sie riß mir den Mantel von den Schultern, und ihre Zähne suchten die Ader an meinem Hals. Es gelang mir noch, ihren Kopf mit meinem wegzudrücken, aber ich konnte nicht verhindern, daß sie sich in meiner Schulter festbiß. Sie ließ nicht mehr los, wie ich mich auch wand; jetzt zerrte ich an ihrem Haar und ließ schließlich alle Rücksicht fahren. Wir hatten einander die Mäntelchen abgerissen und kämpften auf Tod und Leben. Ihr Gebiß grub sich in mein Fleisch, und der Schmerz hatte unversehens meinen Lanzknecht bewaffnet, der ihr an den Leib wollte, umsonst. Erst als wir uns am Boden wälzten, vermochte er, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen, und begann jetzt seinerseits zu wüten, ohne damit ihre Zähne zu lockern; sie bohrte mir jetzt auch die Nägel in den Rücken und grub lange Striemen hinein. Endlich

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