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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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nachsteigen wollte, hielt mich ein Arm an der Schulter zurück; daß es die empfindliche war, ließ sich ertragen. Je fester ich meinen Pfahl einschlug, desto mehr Schmerz zog er aus meiner Schulter ab, und bald fühlte ich mich wunderbar erfrischt. In welche Kur war ich geraten?
    Nadja war bei mir, und war es auch nicht. Sie lag, zugleich an mich gepreßt und halb abgekehrt auf der Seite, doch wenn ich die Umarmung vollenden wollte, stemmte ihr Arm mich weg, so weit, daß mein Schatten nicht auf ihr Gesicht fallen konnte. Es lag mit geschlossenen Augen im Licht des Schreibtischs, das es gnadenlos beleuchtete. Erst als sie sicher war, meine Annäherung verhindert zu haben, zog sie ihren Arm zurück und legte ihn zum andern hinter den Kopf. Spitz traten die Ellbogen hervor, markant die Sehnen.
    Ich war schon im Begriff, mich zurückzuziehen, als sie mit herber Stimme gebot:
Bleiben Sie
.
    Ich fühlte, wie sie meinem Knecht die Aufmunterung, deren er bedurfte, angedeihen ließ wie kleine Rippenstöße, die ihn wieder mutig machten.
    So, sagte Nadja. – Mach die Augen zu. Und jetzt stell dir vor, was du willst, auch das
Letzte
.
    Die Einladung kam unverhofft, aber der Knecht schien sie nicht mißverstehen zu können. Er begann, sich seiner Umgebung immer unverschämter zu bemächtigen und wüste Bilder zu melden; dann stürzte er darauf, aber wenn er mich auf äffische oder hündischeBeute nachzerren wollte, hielt mich Nadjas warnender Arm zurück:
Nein
.
    Mein Knecht stellte sich an, als müsse er gleich bersten, aber ebenso straff hielt ich ihn im Zaum und fühlte, wie allmählich wieder Ruhe einzog, auch wenn er sie lange nicht geben wollte. Aber Nadjas Schoß ließ ihn nicht erschlaffen, sondern gefrieren. Er mußte lernen, daß man fast schon am Ziel wieder in Sehnsuchtsstarre fallen kann. Und schließlich benötigte er gar keinen Wunsch mehr, um als Wächter seiner selbst aufrecht zu bleiben. Mir schien, daß er, um sich wachzuhalten, zu pfeifen anfing, zugleich Sturmwarnung und Wiegenlied. Zugleich pfiff er auf seine Dressur. Ich lag mit geschlossenen Augen und offenen Sinnen, um mir keinen Ton entgehen zu lassen, doch allmählich begann sich meine Aufmerksamkeit zu erschöpfen. Ich lagerte mich bequemer und fiel in tiefen Schlaf. Und als ich daraus erwachte, fühlte ich mich erquickt wie lange nicht mehr.
    Aber ich war allein.
    Ich blieb den ganzen Tag liegen, wo ich mich wiedergefunden hatte, und verbot mir jede Lektüre, auch jedes weitere Wort zu mir selbst. Ich lauschte nur auf Ebbe und Flut an meinem Leib.
    Zum ersten Mal war sie mit mir auf Du und Du gewesen. Zugleich hatte sie von mir Abstand genommen.
    Aber jetzt kam sie jeden Tag wieder, zuverlässig und regelmäßig. Sie stellte mir das Essen auf den Tisch und sah zu, wie ich es verschlang. Ebenso wortlos betteten wir uns danach zur Fortsetzung der Kur. Sie führte sich meinen Knecht zu, um sein Bedürfnis nach Herrschaft erst zu wecken und dann durch ihr Verschwinden zu stillen. Himmel und Erde schwiegen dazu, und wir auch. Ich erholte mich zusehends, und Nadja schien sich zu verjüngen. Vorbei die Zeit, als mich ihr Verblühen haltlos gemacht hatte. Ich nannte «Schäferstunde», was uns vereinigte, denn es gab wieder Raum für Mutwillen. Das Ticken der Uhr war verstummt, und es kam vor, daß wir der Dressur gemeinsam entliefen. Dann hörten wir die Stimmen von Petropawlowsk. Und kehrten am nächsten Tag zur stillen Hut zurück.
    Du wirst schon wieder zu fest, war das erste Wort, das ich von ihr hörte – dein Bauch steht im Wege.
    Vielleicht bin ich schwanger.
    Das ist kein Witz. – Und merk dir lieber gleich: Kinder behält man nicht.
    Eines Tages sagte sie: Willst du hören, wie ich eine Hure geworden bin?
    6 Der Abenteurer Benjowksi hatte seine Tochter Justyna, nachdem ihre Mutter Atanasia zu Macao im Kindbett gestorben war, dem Matrosen Loginow anvertraut, der ihr seinen Namen gab und sie nach Kamtschatka zurückführte. Aber ein guter Vater war er nicht, sondern ließ das Mädchen beim Popen von Bolscherezk dienen, der es ebensowenig hüten konnte, so daß es mit sechzehn schwanger wurde. Das Kind wurde Nadeschda getauft. Als Vater trat ein verbannter Jude hervor, der sich «Ahasver» nannte, eigentlich aber Grynspan hieß und der jungen Mutter bald ein neues Kind machte, doch die Geburt überlebte es sowenig wie sie. Nun hatte Nadeschda nur noch Grynspan, und Grynspan machte sich das Kind untertan.
    Er blieb nur meinetwegen in Bolscherezk,

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