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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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verschließe sich eine Blüte oder als ziehe sich ein Fruchtkolben in seine Hülle zurück. Wenn der Schäfer auf sanfter Aue weidet, hat er einen Stock, aber er braucht ihn nicht, nichts muß er hüten als seine Ungeduld. Warum klopft er noch? Es ist ihm ja schon aufgetan. Wenn er sich schwinden fühlt wie ein Mond, wird er geneckt, bis er wieder aufgeht, scheinbar voll wie noch nie. Oft scheint seinem Prangen in der Finsternis so viel Ewigkeit beschieden, daß seine Hüter getrost einschlafen.
    Ich war gegen Liebe immun geworden, sagte sie, aber ich hatte gelernt, wozu mein Schoß zu brauchen ist, und führte ihm Männer zu, für Geld, denn als Ernährer waren sie nicht zu verachten. Mitachtzehn ging ich nach Petropawlowsk. Da gibt es kaum Gesellschaft, aber der Gouverneur wünschte sich ein gesellschaftliches Leben; ich war erfinderisch genug, es vorzutäuschen, und so eitel, ihm ein wenig Glanz zu geben. Ich hatte als Kind keine Wahl gehabt, als Frau wurde ich wählerisch und konnte mich darauf verlassen: die Herren waren es nicht. Mit ihren Schwänzen konnten sie mir nichts beibringen, doch ihren Köpfen lernte ich viel ab, und ihre
wahren
Interessen hatten mir etwas zu bieten; die konnte ich teilen, ohne zu heucheln. Ich bildete mich zur Zuhörerin und habe von meinen Gästen gelernt, auch von den dümmsten und gröbsten. Ich vergab mir nichts, wenn ich
nahm
. Ich war die Dame von Petropawlowsk.
    7 Wenn eine Frau keine Kinder mehr kriegt, muß sie selbst wieder ein Kind werden, sagte Nadja. – Davon träume ich immer wieder und erwache jedesmal mit einem Schrei. Denn im Traum wird es immer so schrecklich, wie es
war
. Was hat dieses Kind mit mir zu tun? Nichts, nichts haben wir gemein – außer der Wahrheit. Dieses kleine Mädchen wollte nie eine Frau werden. Und dann ist es nicht viel anderes geworden – Nadja lebte davon.
Ich
konnte nicht damit leben. Aber: wer war ich ohne Nadja? Nur sie konnte für mich sorgen. Sie machte sich begehrt, aber sie wußte so gut wie ich: alles nur gemacht. Das war ich gar nicht. Ich will
kein
Kind sein, nicht noch mal! nie wieder! Aber zum ersten Mal.
    Ich war selbst nie ein Kind, sagte ich. – Ich mußte gleich ein Mann sein. Darum bin ich keiner geworden.
    Sie widersprach mir nicht.
    Hast du Doktorspiele gemacht? fragte sie.
    Mit wem? meinen Schwestern? Du bist der erste Doktor in meinem Leben.
    Der Doktor,
das ist gut. Ich bin nicht deine Schwester. Ich will ein Mann sein, Ermolai! Wenn du schon keiner bist – du mußt doch wissen, wie man einer wird!
    Ich habe darüber etwas gelesen, sagte ich, von einem Schweizer Arzt, aber veröffentlichen durfte er es nicht. Er wäre erledigt gewesen. Er war Haushofmeister einer russischen Großfürstin – sie soll die Quelle seiner Inspiration gewesen sein. Die Handschrift zirkulierte unterderhand, und es wunderte mich, daß Horner sie besaß – und auch wieder nicht. Wenn um das Geschlecht ging, waren seine Grundsätze so streng, daß er ein zweites Leben brauchte, eines zum Geheimhalten. Geheimnisse wollen nun einmal geteilt werden. Und auf der
Nadeschda
war ich sein einziger Freund.
    Hat er dich berührt? fragte sie.
    Ja.
    Mich auch, sagte sie. – Nur berührt. Aber er konnte nicht aufhören. Er war noch nie bei einer Frau gewesen, und einmal wollte er alles sehen, auch mal anfassen – aber er behielt seine volle Montur. Ist das bei allen so? fragte er mich, und ich konnte genau feststellen, wann er sich die Hose naß gemacht hatte; er verzog keine Miene dazu, aber danach fragte er wie ein Wissenschaftler, und seine Stimme schwankte nicht mehr. Würden Sie es sich bitte einmal selbst machen? fragte er, und ich erwartete, daß er sich Notizen mache, statt dessen kniete er wie ein Katholik und machte sich nochmals die Hose naß.
    Danach schenkte er dir die Lacksachen, sagte ich, er schenkt am liebsten etwas, was er nicht kaufen mußte.
    Du wolltest mir von seiner geheimen Handschrift erzählen, erwiderte sie. – Vom Arzt aus Bern.
    Er ist, sagte ich, auf den männlichen Unterleib spezialisiert, behauptet aber, vom Unterschied zwischen Mann und Frau mache man zu viel her. Jeder Mensch werde als Hermaphrodit geboren. Zur geschlechtlichen Einfalt bequeme er sich viel eher unter dem Druck der Konvention als aufgrund anatomischer Mitgift. Und öfter, als man wissen wolle, habe auch eine vermeintlich eindeutige physische Ausstattung an einer ganz entgegengesetzten der Seele nichts geändert. Die Unglücklichen seien dann in ihrem

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