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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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artiges Zusammentreffen.
    Tut es noch weh?
    Meine Wunde verrate ich sowenig wie Sie Ihre Bekanntschaften, sagte ich.
    Als sie ging, war das Sakegeschirr stehengeblieben; ich trug es ihr nach.
    Ich wollte es Ihnen weiterschenken, sagte sie, zum Andenken an diesen Tag. Aber erst will ich’s waschen, mit aller Sorgfalt. Der Lack ist alt und kostbar.
    Unter der Tür blieb sie noch einmal stehen.
    Moor bleibt tot, nicht wahr?
    Er soll uns nie mehr trennen, sagte ich.
    Solange es hell ist, verweile ich in meinem Garten.
    «Im Freien» darf ich’s nicht nennen, denn die Gefangenschaft zwischen Festungsmauern ist lückenlos, bis auf das entfernte Stück Himmel, ein unregelmäßiges Vieleck, das ich nach Anzeichen der Tages- und Jahreszeit, Wechseln der Witterung absuche, aber es zeigt nur denjenigen von Tag und Nacht. Beschlagenes Licht weicht stumpfem Dunkel, oft glaube ich, in ein verglastes Oberlicht zu blicken. Regen höre ich nur in der Klause rauschen, meinem Garten bleibt er fern, der Trümmerschutt ist immer staubtrocken. Und doch habe ich, wenn ich den Baderaum verlasse, das Gefühl,
nach draußen
zu treten. Ich recke und dehne mich, bevor ich, aufatmend, die Trümmerlandschaft mustere und prüfe, was
heute
für mich daran zu tun ist – oder zu lassen.
    Allmählich ist eine gewisse Reinheit des Ausblicks entstanden. Um so krasser fällt der Müllberg heraus, der sich im toten Winkel gesammelt hat, ein Haufen rostiges Eisen, mürbes Holz, Sacktuch, Teppiche, Stofftapeten, den ich mit dem Namen «Wrack» geschmückt habe. Doch es bleibt Müll, und je aufgeräumter der Steingarten wirkt, desto greller wird der Kontrast, als hätte ich es mutwillig darauf angelegt, mein eigenes Werk zu schänden. Natürlich überlegte ich, den Haufen zu verbrennen, aber ich traue dem Abzug des Rauches nicht, und Nadja danach zu fragen, verbietetein stillschweigender Vertrag. Sie ist mir über die Gryllenburg keine Auskunft schuldig, dafür überläßt sie mir meinen Garten, den sie meines Wissens nie betreten hat, so wie ich die Suche nach ihrem Zugang zu meiner Klausur – oder einer Hintertür für mich selbst – aufgegeben habe. Ich versuche, mich zur Einsicht durchzuringen, daß der Sinn eines Müllbergs, den ich nicht entfernen kann, eben in seinem störenden Charakter besteht. Wäre der Kontrast weniger schreiend, so unternähme ich vielleicht alles, ihn zu beseitigen. Aber nun behauptet der Schrei sein Recht; als stände ich selbst in diesem Müllberg nackter da, als mich Nadja jemals machen kann. Hier ist die krätzige Haut abgelegt, aus der ich in Archangel hatte fahren wollen. Orpheus soll, nach der Sage, feste Mauern allein mit dem Klang seiner Leier aufgerichtet haben. Meine Arbeitslieder sind die Schweizer Blödversli Horners, von denen er eine ganze Sammlung besaß und aus denen das Elend des einwandfreien Mannes blickte wie der Zipfel eines Sünderhemds aus der versehentlich offenen Hosentür.
    Rasch tritt der Tod den Menschen an. Ob er aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau oder aber überhaupt nicht kommt, ist nicht gewiß. – So sind gar manche Sachen, die wir getrost belachen, und unsern kranken Nachbarn auch. – Am Himmel steht ein Regenbogen/Die Magd ist Wasser holen gogen.
In Erinnerung an den Theologen, meinen Freund, nahm ich immer wieder die
gantze Heilige Schrifft Deudsch
an den Rand meiner kleinen Wüste mit, um sie im Licht dieses Buches zu lesen – und auch bei besserem Tageslicht. Inzwischen kann ich viele Stellen auswendig, meine Bibelfestigkeit nimmt zu, aber auch mein Befremden. Das Volk Israel wurde von Moses durch die Wüste ins Gelobte Land gezogen, dreißig Jahre lang, die der Geheimrat in Weimar als kunstvolle Irreführung überführt hat, aber Gott selbst scheint mit der Ankunft seines Volkes in Einem Land weniger im Sinn gehabt zu haben als mit seiner erneuten Vertreibung. Mein Horner, alles andere als ein Wüstensohn, hat mir bei der unnützen Vermessung von Nukahiwa erklärt, die Juden seien immer erst beim Wandern zu sich selbst und an ihr Bestes gekommen. Hatte Horner Zahnweh, so ergrimmte er gegen das AlteTestament. Das Gottesbild des Mannes Moses nannte er das Werk eines Ausländers mit Pharaonenblut; ohne Babylonische Gefangenschaft wären die Juden nicht einmal zur Erzählung ihrer Heilsgeschichte gekommen. Von ihrer Ansässigkeit im eigenen Land, das nur als gesuchtes und ersehntes Bedeutung habe, sei bloß Mittelmäßiges, Dubioses oder aber Grausames zu berichten,

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