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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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sagte Nadja, dabei galt er als rastlos, ein weitgereister Mann, der zum Krüppel geworden war. Jetzt tat er eine Hundezucht auf, mit sibirischen Schlittenhunden, und vor dem Einschlafen erzählte er Geschichten, denen ich gierig zuhörte, bevor ich sie verstand. Ich war noch ein Kind und gewiß der erste Mensch, der sie ihm geglaubt hat, und er erfand immer neue. Als junger Mann wollte er Kapitän auf einem französischen Südseefahrer gewesen sein, aber so streng, daß er seinen Matrosen nicht erlaubte, die eingeborenen Mädchen zu vögeln; da hätten sie ihn an den Mast gefesselt, und er habe zusehen müssen. Da ich gar nicht wußte, wovon er redete, versprach er, es mir zu zeigen, dafür müßte ich nur stillhalten wie ein Hündlein.Ich bekam auch einen Hund, den Utis, der war schneeweiß und lahmte wie er selbst. Eigentlich hätte er ihn abtun müssen, aber ich durfte ihm das Leben schenken. Es tat weh. Die kamtschadalischen Mägde nähten Pelzkleider für mich, darin war ich ein Eisbär, ein Walroß oder eine Seekuh, und er mußte mich erst jagen, bevor er mich liebhaben konnte. Er erzählte, wie er in Amerika Bergbau studiert habe und in Virginia in die Grube gefahren sei, dann mußte ich Grube spielen, und er zeigte mir die Fahrkunst, die er erfunden hatte. Ich mußte ihm helfen, Indianer zu töten, einen Indianer hatte er ja immer dabei, aber eigentlich hat er
mich
getötet. Als ich einmal mit einem Jungen meines Alters eine Stunde am Fluß gesessen hatte, schlug Grynspan meinen Hund tot, mit einem Beil. Als er sich bückte, nahm ich es selbst und traf ihn am Schädel. Da fiel er um und rührte sich nicht mehr. Ich rannte ins Haus des Popen, sagte, daß ich meinen Vater getötet hätte, und verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, war Grynspan verschwunden, und der Pope behielt mich bei sich. Er war ein alter Mann, schon meine Mutter hatte bei ihm gedient, und er fand, ich sei ihr aus dem Gesicht geschnitten. Er ließ mich hart arbeiten, dann verlangte er, daß ich ihm meine Sünden beichtete, und fand sie zu groß, als daß sie mir vergeben werden konnten. Darum mußte ich jeden Tag wieder beichten, und er geriet ins Keuchen, wenn er mir seine Hände auflegte. Ich war dreizehn, die Quelle der Todsünden entsprang meinem schwarzen Herzen, der Teufel saß mir zwischen den Beinen, und ich machte einen Versuch, ihn aus der Welt zu schaffen und mich damit. Aber ein Sprung von der Brücke brachte mich nur bis in die Krankenbaracke von Bolscherezk; da war ein junger Arzt, ein verbannter Pole, der mich wieder auf die Beine brachte; danach half ich bei der Pflege kranker Seeleute, die nicht mehr fahren konnten. Den Popen sah ich erst bei ihrer Letzten Ölung wieder. Der Arzt war der erste Mann in meinem Leben, der nicht daran zu denken schien, mich liebzuhaben; aber einmal wollte ich doch richtig geliebt sein, und so verführte ich ihn dazu, alles zu nehmen, was ich zu geben hatte. Daß es nichts wert war, brauchte er nicht zu wissen, und ich ruhte nicht, bis er mich «sein Leben» nannte. Auch er war Jude,obwohl getauft, und ein guter Mensch, viel zu unerfahren, um zu merken, daß mein Körper nicht mehr lebte. Als die Cholera umging, suchte ich den Tod an seiner Seite, denn er hatte sich angesteckt, ich aber blieb immun und erreichte nur, daß er in meinen Armen starb. Er wäre lieber für Polen gestorben, sein letzter Seufzer war das Unglück seines Landes. Wenigstens hat er nicht mehr erfahren, daß ich ihn nicht lieben konnte; das wußte ich allein. Ich hatte mich kennengelernt. Nach seinem Tod hatte ich keinen Menschen mehr, aber ich war frei und wußte, daß ich mein Leben selbst in die Hand nehmen mußte. Zbygniew war mein erster Freund und mein letzter.
    Warum Ihr letzter? fragte ich.
    Es gibt zwei Bärenfelle in der Klause, und mit ihrer Pfefferfarbe, lackierten Nüstern und roten, wie von Licht geblendeten Augen, vor allem aber mit ihrem vollständigen, darum
furchtbaren
Gebiß sehen sie vollkommen ähnlich aus. Man kann keinem mehr nachsagen, daß er Männchen oder Weibchen sei. Und doch gibt es einen Unterschied: auf dem einen liegen wir, auf dem andern liegen wir
nicht
.
    Wenn sich die nackte Haut mit der Rauheit des Fells versöhnt hat, könnte man es kuschlig nennen, aber wir liegen einander nur so nahe, daß wir bequem zusammenwachsen können, auf die Seite gelagert wie träge Seehunde. Manchmal stütze ich mich auf einen Arm und sehe zu, wie auch unser Geschlecht unkenntlich wird, als

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