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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Lebens zu sein, in dem ich nichts
     mehr zu suchen hatte, verstärkte sich.
    Charlie hob den Kopf, seine Rute klopfte auf den Boden. Er sah mich bittend an.
    »Natürlich, du hast Hunger, und raus musst du auch.« Ich reckte mich, erhob mich dann. Im Schrank standen meine Laufschuhe,
     schlammverkrustet noch vom letzten Herbst. |19| Seitdem war ich nicht mehr laufen gewesen. Körperliche Bewegung würde mir gut tun, mich auf andere Gedanken bringen.
    Ich ging nach unten, blieb am Treppenabsatz stehen, lauschte. Die Stimmen kamen nun aus dem Wohnzimmer.
    »Wir haben überhaupt keinen Anhaltspunkt, wer der Tote ist, deshalb können wir noch keine Aussagen zur Opferpersönlichkeit
     machen. Möglicherweise war der Mann im Strichermilieu unterwegs, auf der Suche nach einem jungen Freier. Er ist an den Falschen
     geraten, hat sich willig fesseln und schlagen lassen und dann erst bemerkt, dass die Falle tödlich ist«, sagte Martin energisch.
     »Ich meine, wir diskutieren hier doch nur Möglichkeiten durch. Hypothesen.«
    »Ich verstehe nicht, dass ein etwa achtzigjähriger Mann immer noch nicht identifiziert ist.« Andreas schnaubte. »Ein alter
     Mann in Deutschland, der nicht zu identifizieren ist? Was ist mit der Polizei los?«
    »Ich denke, du bist bei der Espe und weißt, wie es läuft.« Die Stimme kannte ich nicht, aber sie klang ein wenig höhnisch.
     »Der Mann war erwachsen, konnte gehen, wohin er wollte. Keine Vermisstenanzeige würde gespeichert werden, solange niemand
     Gefahr im Verzug sieht, ein drohendes Verbrechen. Jeder Erwachsene in Deutschland hat das Recht, sich frei zu bewegen.«
    »Aber«, fiel ihm jemand ins Wort, den ich auch nicht kannte, »wenn er tatsächlich homosexuell war und alleinstehend, kann
     es auch sein, dass er überhaupt noch nicht vermisst wird. Dann ist er auch in keiner Kartei. Da er ein Gebiss hatte, welches
     nicht bei der Leiche anhängig war, können wir ihn auch über die Zähne nicht identifizieren.«
    »Es kann doch nicht sein, dass ein alter Mann einfach so verschwindet und nicht vermisst wird. Dass sich Verwandte, Nachbarn
     oder Freunde keine Gedanken machen.«
    »Aber sicher. Wer würde dich vermissen, Andreas? Und nach welchem Zeitraum? Von Martin jetzt mal abgesehen.«
    »Meine Mutter. Nach zwei Tagen, schätze ich.«
    |20| »Die Mutter des Toten ist schon lange Staub, die vermisst niemanden mehr.«
    »Uff. Ja. Stimmt.«
    Ich atmete tief ein. Das waren alles Dinge, die ich nicht hören wollte. Die Haustür war nicht abgeschlossen, ich ging langsam
     die Einfahrt hinunter zu meinem Wagen. Dort griff ich nach dem Hundefutter und der Kühltasche mit den Lebensmitteln. Ich hatte
     nur wenige Sachen eingepackt, nicht mit einem Überfallkommando von sechs Leuten gerechnet. Nun war die Eifel nicht jenseits
     jeder Zivilisation, und wir würden sicherlich an Lebensmittel kommen. Zur Not könnte man Pizza in Simmerath oder Rurberg bestellen.
    Typisch Conny, dachte ich, denkst immer ans Essen. Endlich löste sich ein Teil meiner Verspannung. Ich lächelte, räumte die
     Lebensmittel in den Kühlschrank, klopfte vor dem Haus die Schuhe aus und begann langsam und sorgfältig mit ein paar Dehnübungen.
     Dann trabte ich, Charlie an meiner Seite, Richtung Wald.

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    Kapitel 3
    Im Wald roch es nach Harz und Laub, der Boden federte unter meinen Füßen. Charlie blieb konstant an meiner Seite, auch wenn
     ich ihn ohne Leine laufen ließ. Er war ein ausgebildeter Polizeihund und trotz seiner erst fünf Jahre schon im Ruhestand.
     Vor einigen Monaten hatten wir ihn zu uns genommen, und obwohl ich erst zweifelte, konnte ich mir nun ein Leben ohne ihn nicht
     mehr vorstellen. Er bildete eine Konstante, zwang mich aufzustehen und mit ihm spazieren zu gehen. Routine war wichtig, wenn
     ansonsten zu viele Schatten im Leben drohten.
    Nach einer Weile tauchten immer wieder Wörter in meinem Kopf auf.
Ausgeblutet . Geschlagen . Vergewaltigt . Spuren von Fesseln an den Handgelenken
.
    |21| Ich versuchte diese Worte zu verdrängen, dachte angestrengt darüber nach, welche Vorräte ich mitgebracht hatte und was ich
     daraus zu essen machen könnte.
    »Vielleicht eine Quiche? Ich habe Speck. Porree bekommen wir beim Bauern. Frische Eier auch. Sahne habe ich mitgebracht«,
     sagte ich leise zu Charlie. Wie immer schien er mir aufmerksam zu lauschen.
    Anale Fissuren. Schnittverletzungen in der Lende und an den Beinen. Ausgeblutet
.
    Hatte der Mann gewusst, dass er sterben würde? Wer tat so

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