Lokale Erschuetterung
wollen.
Haben Sie Kinder?, fragt Veronika und stellt drei Flaschen Grauburgunder in den Wagen. Die Frau schüttelt den Kopf. Wenn ich Kinder hätte, wär ich jetzt woanders. Nicht hier jedenfalls.
Fehlen sie Ihnen?
Jedes Einzelne. Aber ich bin fast durch.
Die Frau nimmt zwei Flaschen Rotkäppchen aus dem Regal. Der soll gut sein, der Rotwein von denen. Gab es doch früher nicht. Rotwein von Rotkäppchen.
Die Frau guckt Veronika fragend an, als hätte es tatsächlich eine Bedeutung, ob man früher Rotkäppchenrotwein trinken konnte oder nicht.
Veronika schüttelt den Kopf.
Gab es früher nicht, stimmt sie zu. Deshalb sind wir untergegangen. Rotkäppchen ist schuld.
An der Kasse sitzt die Verkäuferin, die Veronika den falschen Namen von Daniel verraten hat. Aber sie sieht nicht aus, als erkenne sie die vermeintliche Geliebte eines ehemaligen Verkäufers wieder. Und nun ist es auch egal, |309| selbst wenn der Name hier in Leuchtschrift stünde, über dem Weinregal oder sonstwo, könnte Veronika nichts mehr tun. Außer warten. Und mit drei Flaschen Wein sollte das doch eine einfache Übung sein.
Hanns hat keine schönen Filme in seiner Sammlung. Nicht einer dabei, den sie sich ansehen möchte. Also greift sie zu Fight Club und Apocalypse Now Redux. Die wollte sich Hanns beide mit ihr anschauen, und sie hat immer nein gesagt. Blut und Hirn und Tod und Teufel will ich nicht gucken, Hanns. Er hat sich dreingeschickt und ihr vorgeschwärmt, wie toll doch Fight Club sei. Also wird sie sich den anschauen und dabei betrinken.
Als Brad Pitt den Schlüsselsatz sagt, ist sie bereits sturzbetrunken.
Alles, was du hast, hat irgendwann dich, sagt er, und Veronika lallt: Wahr gesprochen, guter Junge. Sie weiß jetzt schon, dass Brad Pitt gar nicht existiert und Edward Norton verrückt wie eine Versuchsratte ist. Aber der Film ist trotzdem gut. Hanns hatte recht. Veronika nimmt das Handy und wählt seine Nummer.
Fight Club ist ein guter Film, sagt sie. Wir hätten ihn zusammen gucken und unseren Spaß haben können. Jetzt musste ich das alleine machen. Während du mit Daniel Bedenkzeitbier säufst.
Veronika geht ins Bad und kotzt ins Klo. Der schöne Wein, murmelt sie. Jetzt fange ich wieder von vorne an. Aber so ist es nicht. Ihr ist ausreichend schlecht, und sie fühlt sich auch ausreichend betrunken, um ins Bett zu gehen. Das Licht lässt sie an. In der ganzen Wohnung. Eine wahre Festbeleuchtung für diese letzte kinderlose Nacht.
Wenn ich morgen aufwache, hat die Welt sich gedreht, murmelt sie und malt mit der rechten Hand einen Kreis in die Luft. Dann noch einen. Zur Sicherheit.
Falls die Welt nicht auf mich hört, sagt Veronika.
|310| 26. Kapitel
Hanns sitzt mit Daniel im Ratskeller.
Am Ende landet man doch meistens hier, sagt er entschuldigend, als er sieht, wie sein Gegenüber entgeistert auf die laute Stammtischrunde im hinteren Teil des Gastraumes starrt. Grün putzt den Sack, brüllt dort der Marschnerrudi gerade und knallt eine Spielkarte auf den Tisch. Hosen runter, ruft er, und die drei anderen am Tisch lachen.
Die spielen jeden Mittwoch und jeden Freitag. Da haben die Frauen ihre Ruhe und kommen ohne ein blaues Auge ins Bett.
Ist das dein Ernst, fragt Daniel und klappt die überdimensionierte Speisekarte auf. Hanns nickt.
Zumindest die Frau vom Marschner läuft ziemlich oft mit Sonnenbrille herum, egal, welche Farbe der Himmel hat. Trägt im Sommer auch meist langärmlige Sachen, da weiß man dann eigentlich Bescheid.
Und zu welchem Arzt gehen die Frauen hier, wenn sie die Treppe runtergefallen sind, will Daniel wissen und starrt dabei auf die Speisekartenseite Aus Topf und Pfanne. Was isst man denn in diesem Laden?
Alles, was nach deutscher Küche klingt, kannst du bestellen. Meide Asiatische Gemüsepfanne und so was in der Art. Das funktioniert hier nicht, und daran ist Bofrost schuld.
Meinst du wirklich, ich sollte Schlachteplatte essen?
Muss ja nicht gleich so heftig sein, nimm die Rouladen oder Wildgulasch.
|311| Daniel nickt und bestellt Wildgulasch und einen Rotwein.
Trocken, schiebt Hanns sicherheitshalber hinterher. Die Kellnerin nickt beleidigt.
Sülze mit Bratkartoffeln und Remouladensoße. Ich wusste gar nicht, dass du so was isst. Daniel lächelt.
Der sieht aus wie ein Sonnenscheinchen, denkt Hanns und grinst ebenfalls. Ich bin jetzt ganz gut assimiliert. Außerdem war ich schon immer ein Prolet, das weißt du doch.
Eher nicht, sagt Daniel. Du willst wahrscheinlich einer sein,
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