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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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nichts. Schon gar nicht, dass du der Sohn meiner ewig trauernden Frau bist. Mir hätte eine kinderlose frustrierte Schnepfe gereicht, die unglücklich darüber ist, dass ihr Schoß sich als unfruchtbar erweist oder nur Totes hervorbringt. Die mir die Schuld gibt dafür oder dem lieben Gott. Die mit mir andauernd über Adoption reden will und sich nicht abfinden kann mit dem Gedanken, eines Tages unvermehrt ins Grab zu fahren. Ich hätte eine ganz einfache Geschichte bevorzugt. Eine von Mann und Frau und beschissenen Invitroversuchen und reinem Reproduktionssex und Sprachlosigkeit und Kummerspeck. Das hätte ich alles genommen und getragen, wie ein Mann es zu tragen hat. Ich habe mich nicht um diese verkackte Geschichte gerissen, in der ich jetzt stecke. Aber nun stecke ich mittendrin, und du |301| wirst mich da wieder rausholen. Sonst polier ich dir die Fresse und werfe dich den Kleinstadtgeiern zum Fraß vor.
    Daniel steht auf und wendet Hanns den Rücken zu. Das ist mutig, denkt Hanns und starrt auf seinen Freund, der wohl die längste Zeit ein Freund gewesen ist. Und plötzlich sehnt er sich nach einem kleinen Aufschub. Nach einem letzten Freundschaftsabend, bevor die ganze Scheiße richtig zum Kochen kommt. Hanns steht ebenfalls auf und stellt sich hinter Daniel. Er denkt an die guten Abende, die sie hatten. An den Tag der Rettung. Wie Daniel, ein Wildfremder damals, durch die Supermarktregale auf ihn zugekommen ist. Wie er sich zwischen Nudeln, Reis, Linsen, Couscous und Erbsen auf der einen und Öl, Balsamico, Tomatenmark und weiß der Himmel was auf der anderen Seite materialisiert hat. Mit einem Lächeln im Gesicht, die Hände leicht gehoben, als sei er Jesus persönlich, war er auf ihn, den wütenden Berserker, zugekommen und hatte ihn tatsächlich beschwichtigt. Hatte ihm das Spargelglas aus der Hand genommen und es ins Regal gestellt. Mit so was wirft man nicht, hatte er gesagt und weitergelächelt. Schon gar nicht auf einen armen Verkäufer, der gerade mal sieben Euro die Stunde verdient und sich nach was Besserem sehnt.
    Woher willst du denn das wissen, hatte Hanns gefragt, aber er war schon ruhiger als noch zehn Sekunden vorher. Dass der sich nach was Besserem sehnt.
    Tun wir alle. Sogar ich, obwohl ich hier nur zwanzig Wochenstunden arbeite.
    Daniel war zu dem Verkäufer gegangen und hatte mit ihm getuschelt. Von Kollege zu Kollege. Danach hatte er Hanns aus dem Supermarkt geleitet. Wenn du Lust hast, gehen wir heute Abend ein Bier trinken, hatte er gesagt, und so war es dann gekommen. Wenn das alles stimmt, |302| was Veronika und ich uns ausgedacht haben, dann muss der Kerl sich extra in dem Supermarkt gegenüber unserer Wohnung für zwanzig Wochenstunden eingemietet haben. Um mit mir Kontakt aufzunehmen oder mit Veronika. Das kann eigentlich alles nicht hinhauen. Hanns schluckt und starrt in die Augen des Jungen, der wahrscheinlich doch nur ein Fremder ist. Fühlt, wie es dunkelviolett in ihm wird, tief und traurig und ausweglos.
    Lass uns in die Stadt gehen, etwas essen und Frauen aufreißen. Du kannst mir morgen sagen, was du zu sagen hast. Wenn du etwas zu sagen hast, schiebt er noch hinterher und signalisiert dem Jungen, dass er nicht ganz den Verstand verloren hat. Dass er sehr wohl für möglich hält, alles könnte ganz anders sein.
    Daniel dreht sich um und lächelt. Gut, sagt er, gehen wir was essen und schauen wir uns die Weiber an. Hoffentlich sehen die nicht so aus wie die Jungs vor dem Bahnhof.
    Du meinst, so glatzköpfig?
    Sie lachen. Beide. Wischen alles weg, was war. Wischen es vom Tisch bis morgen früh. Das muss gehen. Und Veronika wird sich noch einen Tag gedulden müssen. Hanns geht ins Bad, nimmt sein Handy aus der Hosentasche und schickt ihr eine SMS. Gedulde dich bis morgen, schreibt er. Ich habe Bedenkzeit gegeben. Ich liebe dich, schreibt er, auch wenn nicht klar ist, ob das noch gilt. Dann schickt er die Nachricht weg und macht das Handy aus.

|303| 25. Kapitel
    Veronika starrt auf ihr Handy und kann es nicht fassen. Was heißt hier, bis morgen gedulden? Wieso Bedenkzeit? Für wen? Bis morgen, das hält sie auf keinen Fall durch und aus. Das kann er nicht machen. Nicht mit ihr. Er weiß, wie es ihr geht. Veronika ruft an und gerät an die Mailbox.
    Er hat das Telefon ausgemacht, murmelt sie und wählt erneut. Tut das sieben Mal hintereinander, hört sieben Mal die Ansage eines Lokalredakteurs und fragt sich, wie sie diese Nacht überstehen soll. Sie könnte ins Kino gehen.

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