Lokale Erschuetterung
Pullover. Sie zieht das mausgraue Stück wieder hervor und hängt es auf einen Bügel. Hält die mich für einen Ladendetektiv, fragt sich Hanns und wird wütend. Hält die mich tatsächlich für so einen Wichser, der andere Leute am Klauen hindert? Hanns geht straffen Schrittes auf die Frau zu und baut sich vor ihr auf. Die guckt auf seinen Hals und meidet den Augenkontakt. Hier, sagt Hanns und nimmt das mausgraue Stück wieder vom Bügel, um es der Frau unter den Pulli zu schieben. Die fängt an zu schreien. Das macht ihn noch viel wütender. Er legt ihr eine Hand auf den Mund und sieht den Mann von der Ladentheke langsam auf sich zukommen. Hanns nimmt die Hand vom Mund der Frau, und die steht stumm und schaut auf seinen Hals. Der Mann bleibt unschlüssig stehen. Was könnte das wohl sein hier? Was hat er gelernt über solche Situationen? Hanns sieht, wie es arbeitet im Kopf des Thekenmannes. Er entfernt sich von der Diebin, um dem Typen eine Rückzugsmöglichkeit zu geben. Arme Diebin, denkt Hanns und geht nach hinten, wo die Wildlederjacken hängen. Die Frau huscht aus dem Laden. Mit oder ohne Pullover, das ist Hanns jetzt auch egal. Er will nur eine Wildlederjacke für sein neues Leben kaufen.
Drei riesige Kleiderständer hängen voller Wildlederjacken. Der Mann ist wieder hinter seiner Theke verschwunden. Hanns probiert eine Jacke nach der anderen an. Er schaut gar nicht erst nach den Größen, sondern zieht einfach Jacke für Jacke vom Ständer und kriecht hinein. Sie haben alle den gleichen Geruch nach Staub |39| und diesem scharfen Reinigungsmittel. Hanns spürt ihn in der Nase. Wie er sich ins Hirn frisst und da fette Beute eintreibt. Wie er einen Teil seines Verstandes absorbiert und zunichtemacht. Hier, dicht an den getragenen Klamotten, hat das alles gar nichts mehr mit seiner Großmutter zu tun. Hier wurde versucht, das ganze Leben aus den gebrauchten Sachen zu waschen. Wenn das mal gutgeht, sagt Hanns. Das kann nicht gutgehen. Er arbeitet sich durch die Jacken. Nimm jede einzelne vom Ständer, hält sie sich auf Armlänge entfernt vor die Augen, um zu entscheiden, ob dies die Jacke eines Lokalredakteurs sein könnte.
In einer Jackentasche findet Hanns einen Zettel. Die Schrift ist verschmiert. Gerade mal, dass er noch Topfreiniger und Pizza erkennen kann. Topfreiniger und Pizza. Hanns glaubt, den Kerl zu kennen, der sich so etwas auf kleine Zettel schreibt. Topfreiniger und Pizza. Was für ein Leben, denkt Hanns, wenn man sich schon im Laden nicht mehr erinnern kann, dass es zu Hause an Topfreinigern fehlt und dass man eine Pizza essen möchte.
Aber die Jacke gefällt ihm. Sie ist so, wie er es sich vorgestellt hat. Der Kragen an einigen Stellen blank. Ein Knopf hängt am seidenen Faden. Der Kerl, dem die Jacke gehört hat, muss ständig die Hände in den Taschen gehabt haben. Die leichten Schmutzränder sprechen dafür.
Hanns dreht sich einmal, zweimal, dreimal vor dem Spiegel. Die Jacke klimpert leise. Mit beiden Händen wühlt er in den Taschen, deren Futter löchrig ist. Wühlt sich durch bis zum Bodensatz und findet Geld. Alles in allem fünfundsiebzig Cent. Es ist eine Glücksjacke. Und die ganze Freude kostet nur zwanzig Euro.
Irgendwo klingelt ein Handy. Ganz in der Nähe. Hanns nimmt die Jacke, mit der er hergekommen war, vom Kleiderständer und kramt sein Telefon aus der Tasche. Das |40| Klingeln hat aufgehört. Nur noch ein kurzes Dingdong klingt in den Laden, um Hanns eine Nachricht zu vermelden. Die ist von Daniel. Ruf zurück, sagt der. Hanns, ruf mal zurück. Bin gerade unterwegs. Pause. Wir könnten ein Bier trinken. Pause. Einen Wein. Pause. Oder ins Kino.
Hanns findet Daniel manchmal seltsam. Und noch seltsamer diese Art Männerfreundschaft, die ihn mit Daniel zu verbinden scheint. Er hält sie unter Verschluss. Die Freundschaft. Ziemlich. Vroni weiß nur, dass er mit einem Daniel manchmal ein Bier trinken geht. Oder zum Fußball. Was Männer so machen. Denkt sie wahrscheinlich, und Hanns will, dass sie so denkt. Was Männer so machen, sie gehen zum Fußball und trinken hin und wieder ein Bier zusammen. Daniel trinkt fast nie Bier. Eher Wein. Und zum Fußball geht er gleich gar nicht. Kino ja. Und manchmal ins Kabarett. Zuletzt waren sie bei so einer Transenshow. Chansons und eine Menge Brimborium drum herum. Hanns kann sich nicht erklären, warum er das alles mitmacht. Daniel ist achtzehn Jahre jünger als er und hört sich gerne singende Transen an. Rennt andauernd ins Kino
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