Lokale Erschuetterung
Schickimicki sieht anders aus. Hanns lässt sich nicht abhalten von seinen Vorurteilen. Sie machen ihn selbstsicher, wenn er in so einen Laden reingeht und ein Bier bestellt. Nicht, dass er irgendwann anfängt, Beck’s Gold zu trinken oder Ovomaltine.
Fast hätte ich hier letztens ein Mädchen abgeschleppt, sagt Daniel und lacht. Italienerin mit blonden Strähnchen und einer Sonnenbrille, Gläser so groß wie Suppenteller. Die hatte sich an meinen Tisch gesetzt und sofort ein Gespräch angefangen. Über die Synagoge und den Hamburger Bahnhof.
Woran ist es am Ende gescheitert, fragt Hanns.
An mir. Ich wollte dann doch nicht. Hatte schon alle Probleme im Kopf, die daraus entstehen könnten. Fernbeziehung, ein Freund, der vielleicht irgendwo lauert, eine Italienerin, die klammert oder gleich wieder verschwindet. Mir sind tausend Sachen eingefallen, die mir die Lust ausgetrieben haben. Kennst du das?
Du bist wie Veronika. Hanns nimmt die Karte und will sehen, ob sie hier irgendwas Gutes zu essen haben. Chicken Wings oder eine andere kleine Schweinerei. Er hätte Appetit.
Veronika kann sich kaum auf irgendetwas einlassen, ohne nicht mindestens zehn mögliche Katastrophen im |44| Kopf zu haben. Die passieren könnten, wenn sie sich einlässt.
Daniel schweigt und hört zu. So wie er immer schweigt und zuhört, wenn Hanns über Veronika spricht. Am Anfang hatte er deshalb immer gedacht, Daniel sei eifersüchtig auf Veronika. Aber nun scheint das ja nicht zu stimmen, wenn der kurz davor war, eine Italienerin zu knallen. Obwohl das auch völlig unlogisch gedacht ist. Vielleicht hat er sie nicht geknallt, weil er schwul ist. Vielleicht ist das nur so eine Geschichte, um ihn, Hanns, zu beruhigen.
Es kann ja auch sein. Dass eine Katastrophe eintritt. Die Wahrscheinlichkeit ist größer als die, dass es gutgeht. Daniel sagt es lächelnd, als wolle er dementieren, was er da gerade erzählt.
Warum, fragt Hanns und schaut zum Nachbartisch. Dort arbeiten sich zwei Frauen an einer Vorspeisenplatte ab.
Willst du die Tapas?
Daniel schüttelt den Kopf. Erst einen Rotwein, dann überlegen wir weiter. Wie geht es Veronika?
Jetzt ist Hanns doch überrascht. Daniel hat sich noch nie nach dem Befinden seiner Frau erkundigt. Eher immer nur geduldig gewirkt, wenn er von ihr gesprochen hat. So als ob es ihm am liebsten wäre, nur zuhören und nichts fragen zu müssen.
Ganz gut, glaube ich. Sie hat gerade einen Auftrag bekommen. Arbeit für ein Vierteljahr. Da geht es ihr dann immer gut. Auch wenn es ein Scheißjob ist. Als sie gestern nach Hause kam, mit der Nachricht von dem neuen Auftrag, wirkte sie recht glücklich. Und willig war sie auch. Seit langem mal wieder. Hanns schaut, wie Daniel reagiert. So was hat er noch nie erzählt. Wir haben es in der Küche gemacht. An der Spülmaschine. Daniel schweigt, dreht sich um und winkt einer Kellnerin.
|45| War sie voll? Die Spülmaschine?
Hanns grinst. Ja. Die hat bei jedem Stoß ganz leise geklimpert.
Die Kellnerin kommt, und Daniel sieht erleichtert aus. Er bestellt einen Merlot, und Hanns will ein Bier. Ein großes Radeberger, sagt er und schaut sich die Kellnerin an. Die kaut Kaugummi und kritzelt was auf einen Block. Na klar, sagt sie, als hinge es von ihrer Billigung ab, ob man tatsächlich ein Bier und einen Rotwein bekommt.
Wieso geht ihr nicht ins Bett, fragt Daniel. Ihr seid verheiratet und habt ein gemeinsames Schlafzimmer. Wieso vögelst du dann mit deiner Frau am Geschirrspüler?
Jetzt, wo er das so fragt, findet Hanns es auch komisch.
Sie kam in die Küche, zog sich aus und stellte sich davor. Was hätte ich tun sollen? Sie bitten, dass wir erst brav ins Schlafzimmer gehen? Bei so einer Gelegenheit? Ich meine, Vroni ist wirklich ein bisschen verklemmt. Und wenn sie das mal lässt, mit der Verklemmtheit, bin ich der Letzte, der sie wieder dran erinnert. Dass wir auch unter die Decke kriechen könnten. Uns eine Höhle bauen. Wie wir es immer tun und schon früher getan haben.
Daniel schaut Hanns an und verzieht das Gesicht. Sieht aus, als wäre es ihm unangenehm.
Aber er hat angefangen, denkt Hanns. Ich würde ja wohl nicht von mir aus darüber sprechen, wie es mit Veronika im Bett ist.
Wird sie denn mitkommen in die Kreisstadt, fragt Daniel.
Nie und nimmer. Sie hasst kleine Städte. Ist auf dem Dorf groß geworden und kriegt schon das Kotzen, wenn wir hier irgendwo im Osten durch die Käffer fahren. Da greift sie dann immer gleich zum Autoatlas und will wissen, wo
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