Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
Vom Netzwerk:
gewachsen war, konnte ich fest auf die meisten dieser Januarmaße bauen: Hüftweite 29 Zoll; Schenkelumfang (direkt unter den Gesäßbacken) 17; Waden-und Halsumfang 11; Brustumfang 27; Oberarmweite 8; Taille 23; Größe 57; Gewicht 78 amerikanische Pfund; Figur: gerade; Intelligenzquotient 121; wurm-förmiger Blinddarmfortsatz vorhanden, gottseidank.
    Ich brauchte jedoch keine Maße, um Lolita mit halluzinatorischer Deutlichkeit vor mir zu sehen; und weil ich an meinem Brustbein sorgsam ein Kribbeln bewahrte, genau dort, wo ihr seidiger Kopf ein- oder zweimal auf gleiche Höhe mit meinem Herzen gekommen war; und weil ich ihr warmes Gewicht auf meinem Schoß fühlte (so daß ich in gewisser Weise Lolita immer «trug», wie eine Frau ein Kind «trägt»), war ich nicht überrascht, daß meine Berechnung sich später als mehr oder weniger richtig erwies. Da ich außerdem einen Sommer-Konfektionskatalog studiert hatte, vermochte ich allerlei hübsche Dinge mit Kennermiene auszusuchen, Sportschuhe, Leinenschuhe, Pumps aus zerknittertem Glacé für zerknitterte Mädchen. Das geschminkte Mädchen in Schwarz, das alle meine Bedürfnisse zu stillen half, verwandelte väterliche Gelehrsamkeit und genaue Beschreibung in geschäftsmäßige Euphemismen, etwa «petite». Eine andere, wesentlich ältere Frau mit weißem Kleid und einer dicken Schicht Schminke im Gesicht schien sonderbar davon berührt, wie ich mich in der Klein-Mäd-chen-Mode auskannte; vielleicht hatte ich ja eine Liliputanerin zur Geliebten; deshalb stellte ich, als mir ein Rock mit zwei «feschen» Vordertaschen gezeigt wurde, absichtlich eine naive Männerfrage und wurde mit einer lächelnden Vorführung des hinten befindlichen Reißverschlusses belohnt. Danach machten mir alle Arten von Shorts und Badehosen viel Vergnügen -kleine Lolitageisterchen, die auf dem Ladentisch tänzelten und purzelten und ringelreihten. Wir rundeten den Einkauf mit ein paar keuschen Baumwollpyjamas des beliebten Modells «Metzgergeselle» ab. Humbert der beliebte Metzger.
    Ein Hauch von Mythos und Verzauberung weht durch diese großen Läden, wo ein Büromädchen sich der Werbung zufolge für alle Tagesanlässe einkleiden kann, vom morgendlichen Dienstantritt bis zum abendlichen Stelldichein, und wo Schwesterchen von dem Tag träumen kann, da ihr Wollpullover die Herzen der Jungs auf den Hinterbänken höher schlagen lassen wird. Lebensgroße Plastikfiguren von Stupsnasenkindern mit fahlen, grünlichen, braungesprenkelten faunischen Gesichtern umgaukelten mich. Mir wurde bewußt, daß ich der einzige Kunde an dieser recht geheimnisvollen Stätte war, in der ich mich fischartig wie in einem bläulichgrünen Aquarium umherbewegte. Ich spürte, wie seltsame Gedanken in den Köpfen der schmachtenden Damen aufkamen, die mich von Ladentisch zu Ladentisch, vom Felsenriff zum Meerespflanzengestrüpp geleiteten, und die Gürtel und Armreifen, die ich aussuchte, schienen aus Nixenhänden in durchsichtiges Wasser zu gleiten. Schließlich kaufte ich einen eleganten Handkoffer, ließ all meine Einkäufe hineinpacken und begab mich, sehr befriedigt von diesem Tag, zum nächsten Hotel.
    Irgendwie in Verbindung mit diesem ruhigen poetischen Nachmittag wählerischer Einkäufe fiel mir das Hotel oder das Gasthaus mit dem verführerischen Namen Verzauberte Jäger wieder ein, das Charlotte kurz vor meiner Befreiung erwähnt hatte. Mit Hilfe eines Reiseführers stellte ich fest, daß es in der abgelegenen Stadt Briceland lag, vier Autostunden von Los Camp entfernt. Ich hätte telephonieren können, doch da ich fürchtete, daß meine Stimme mir nicht gehorchte und in ein schüchternes Gequake aus gebrochenem Englisch verfiele, beschloß ich, telegraphisch ein Zimmer mit zwei Betten für die kommende Nacht zu bestellen. Was für ein komischer, ungeschickter, schwankender Märchenprinz war ich doch! Wie werden manche meiner Leser lachen, wenn ich ihnen sage, welches Kopfzerbrechen mir der Wortlaut des Telegramms verursachte! Wie sollte ich es abfassen: Humbert und Tochter? Humberg und Töchterchen? Homberg und minderjähriges Mädchen? Homburg und Kind? Der possierliche Fehler - das «g» am Ende -, der dann wirklich ankam, mochte ein telepathisches Echo meines Hin- und Herüberlegens gewesen sein.
    Und dann, im Samt einer Sommernacht, das Grübeln über das Zaubermittel, das ich bei mir hatte! O geizender Hamburg! War er nicht ein sehr Verzauberter Jäger, als er über diese Schachtel magischer

Weitere Kostenlose Bücher