London Hades
nicht immer aussuchen , wie ihre Mutter zu sagen pflegte.
Sie wartete. Nichts. Sie klopfte erneut.
» Verschwindet! «
Emp ö rt streckte Frances die Hand noch einmal zum Klopfer aus, als die Stimme von drinnen hinzuf ü gte: » Wir haben geschlossen. «
Das konnte unm ö glich f ü r sie gelten. Mrs. Randall mochte sie nicht unbedingt erwarten, aber immerhin waren sie und Mutter alte Freundinnen. Frances griff nach dem Knauf und fand die T ü r unverschlossen. Es war also kaum ihre Schuld, wenn sie einfach so hereinspazierte, Mrs. Randall h ä tte ja abschlie ß en k ö nnen.
Schon im n ä chsten Moment bereute sie ihren Entschluss. Es war kein Hausflur, der sie empfing, sie stolperte geradewegs in eine Wohnstube. Licht schien durch die beiden verh ä ngten Fenster zuseiten der Eingangst ü r, aber so sp ä rlich, dass im Zimmer mehrere Kerzen brennen mussten, damit es hell wurde. Eine Taschenuhr aus Messing tickte in ihrer Halterung ü ber dem kleinen, schwarz verru ß ten Kamin zur Linken. Die Luft war verbraucht. Das lag nicht allein an den Kerzen, sondern auch an den vier M ä dchen, die sich im Zimmer drapiert hatten und Frances anstarrten, als w ä re der Heilige Geist mitten unter sie gefahren.
Eine von ihnen r ä kelte sich auf einem gepolsterten Sofa mit erh ö htem Kopfteil, auf einen Arm gest ü tzt. In der freien Hand hielt sie ein B ü chlein, mit dem sie aufgebracht in Frances Richtung wedelte. » Bist du verr ü ckt geworden? Mach sofort die T ü r zu! « , rief sie.
Frances fuhr herum und warf die T ü r hinter sich zu. Die M ä dchen waren noch nicht vollst ä ndig angezogen. Nur zwei von ihnen trugen schon ihre Schn ü rbrust und dar ü ber lose sitzende Leinenj ä ckchen, die anderen beiden h ü llten sich in Banyons aus abgegriffener Seide. Sie sa ß en an einem runden Tisch, vor ihnen ein offenes Kartenblatt. Frances kannte nur wenige Frauen, die es sich leisten konnten, um die Mittagszeit noch im Morgenrock herumzulaufen.
» Ich denke, Clara meinte von au ß en « , sagte ein M ä dchen, das ganz in ihrer N ä he auf einem Stuhl sa ß und ein rotes Band an einer Haube festnähte.
Frances drehte den Henkel ihres Korbes zwischen den Fingern. » Es tut mir leid, ich …«
» Ja, ist mir egal. « Das M ä dchen vom Sofa sprang auf und knallte ihr Buch auf das Polster. Rote Haarstr ä hnen l ö sten sich wie Blitze unter ihrer Leinenhaube. » Und nun verschwinde. Hier gibt es nichts zu sehen, und wir kaufen auch nichts. « Mit wedelnden Handbewegungen trieb sie Frances zur ü ck, bis diese mit dem R ü cken gegen die T ü r stie ß .
Frances Finger bekamen den Deckel ihres K ö rbchens kaum auf. Hastig kramte sie nach ihrem Brief. Aber da stampfte die Rothaarige bereits mit den F üß en auf den Boden. » Verschwinde, habe ich gesagt! «
» Ich m ö chte zu Mrs. Randall « , sagte Frances bestimmt. Wo war nur dieser verdammte Brief? Sie zerrte die Chemise aus dem Korb, die zerfledderte Bibelausgabe, die Pastor Watts ihr mitgegeben hatte, ihr zweites Paar Str ü mpfe.
» Willst du hier einziehen? « , begehrte eine der Kartenspielerinnen auf.
» Nein … nun ja …« Endlich erwischten ihre fliegenden Finger das gefaltete Blatt Papier, auf das Mutter Name und Adresse ihrer Freundin notiert hatte. Mamans Siegel, ein Halbmond, verschloss es an der R ü ckseite. » Bitte, ich habe einen Brief f ü r sie. Er stammt von Elizabeth Watts. «
Die Rothaarige starrte auf den Brief hinab, als w ä re er giftig. Dann entriss sie ihn Frances ’ Hand. » Also gut, du hast ihn abgegeben. Sch ö nen Tag auch. «
Frances schnaubte. » Nein, ich denke, ich sollte warten, bis Mrs. Randall den Brief gelesen hat. «
Die beiden M ä dchen am Tisch kicherten, und die Rothaarige wollte gerade wieder zu einer w ü tenden Erwiderung ansetzen, da sagte das M ä dchen neben Frances: » Lasst sie doch. Soll sie Maggie w ü tend machen, dann sind wir ’ s wenigstens nicht gewesen. «
Die Rothaarige zuckte die Achseln. Sie ging zu einer T ü r hin ü ber, die in die Tiefen der Wohnung zu f ü hren schien, und ö ffnete sie.
» Mutter Randall? « , rief sie. » Besuch f ü r dich. «
Hinter der T ü r f ü hrte eine Treppe in die H ö he. Die M ä dchen wechselten triumphierende Blicke mit Frances, aber zur ü ckfunkeln, das konnte sie auch. Sie stemmte gerade die H ä nde in die H ü ften, als es pl ö tzlich am oberen Ende der Treppe rumpelte. Und dann betrat die erstaunlichste Erscheinung, die sich Frances
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