London Road - Geheime Leidenschaft (Deutsche Ausgabe)
anzusprechen.«
»Mit anderen Worten: Du hast Angst, dass er sagt: ›Ja, ich liebe Blair noch.‹«
Ich zog die Brauen zusammen. »Du solltest auf deinem Lebenslauf unter ›Besondere Fähigkeiten‹ noch ›Gedankenleserin‹ ergänzen.«
»Ja, ich glaube, wir haben bereits festgestellt, dass ich ein absoluter Knaller bin.« Sie grinste vergnügt.
Ich erwiderte ihr Lächeln. »Auf jeden Fall.«
Doch gleich darauf wurde Olivia wieder ernst. »Nimm all deinen Mut zusammen und rede mit ihm, Jo, sonst wird das Problem immer größer.«
»Mut?« Ich machte ein langes Gesicht. »Kann man sich das aus dem Internet runterladen?«
»Würde mich nicht wundern. Aber wahrscheinlich gibt es dabei jede Menge Kleingedrucktes, und es zieht unvorhersehbare Konsequenzen nach sich.«
»Dann muss ich ihn mir wohl von jemand anderem klauen, oder?«
»Was soll das heißen, von jemand anderem klauen? Johanna Walker, du bist einer der mutigsten, stärksten Menschen, die ich kenne, und das will was heißen – ich komme aus Arizona, wo ungefähr sechs Millionen Menschen freiwillig von Mai bis September in brüllender Hitze leben.«
»Cam findet auch, dass ich stark bin«, murmelte ich ungläubig.
»Na also – rede mit ihm. Ein Typ, der dich so ansieht, dass ich auf die Idee komme, vielleicht sind feste Beziehungen ja doch was Schönes, kann nicht in eine andere Frau verliebt sein. Das glaube ich einfach nicht.«
Ich holte tief Luft. »Okay, ich rede mit ihm.«
Olivia haute mir auf den Rücken, dass ich vor Schmerz zusammenzuckte. »Siehst du? Geht doch!«
Einige Stunden später verabschiedeten wir uns in der Princes Street von Onkel Mick und Olivia, nachdem wir ausgemacht hatten, uns unter der Woche mal zum Abendessen zu treffen. Ich setzte Cole beim Omni Centre ab, wo er mit Freunden verabredet war. Als ich gehen wollte, hielt er mich am Arm zurück.
»Jo, ist alles in Ordnung?« Er hatte Sorgenfalten auf der Stirn.
Nicht zum ersten Mal staunte ich darüber, dass ich meinem kleinen Bruder in die Augen sehen konnte, ohne den Kopf zu senken. Ich wünschte, er wäre nicht so groß für sein Alter. Wenn er noch wie ein kleiner Junge ausgesehen hätte, hätte ich mir wenigstens die Illusion bewahren können, dass er nicht erwachsen wurde. Aber egal ob groß oder klein, sein Einfühlungsvermögen war immer schon gut entwickelt gewesen. So war er einfach. Es war ein elementarer Bestandteil unserer Beziehung, dass er mich in- und auswendig kannte.
Ich zuckte mit den Schultern. »Klar doch.«
Cole steckte die Hände in die Hosentaschen, reckte den Kopf vor und sah mich scharf an. »Gibt’s irgendwas, das ich wissen sollte?«
»Mir ist bloß ein bisschen komisch. Frauenproblem«, versicherte ich ihm mit einem kleinen Lächeln. »Und jetzt ab mit dir. Zieh mit deinen Freunden los und sei unreif. Verantwortungsbewusst«, fügte ich rasch hinzu, »aber unreif.«
Er schnitt eine Grimasse. »Schließt sich das nicht irgendwie gegenseitig aus?«
»Wenn dein unreifes Verhalten schwerwiegende Konsequenzen nach sich zieht, dann ist es nicht verantwortungsbewusst.«
Cole brummelte irgendetwas. »Du solltest den ganzen Sch- … das ganze Zeug mal aufschreiben.«
»Ich habe den ›Scheiß‹ sehr wohl gehört, mein Lieber, und zur Strafe esse ich zu Hause die letzte PopTart auf.«
»Das ist grausam, Jo.« Er schüttelte grinsend den Kopf und entfernte sich. »Echt grausam.«
Ich rollte mit den Augen und winkte ihm zum Abschied, bevor ich weiterging. Hoffentlich gab der Fußmarsch nach Hause mir genügend Zeit, meinen Mut zusammenzukratzen.
Als ich einige Zeit später vor Cams Wohnungstür stand, war ich relativ zuversichtlich, dass ich in der richtigen mentalen Verfassung war, ihn mit seinen Lügen und Ausflüchten zu konfrontieren. Da ich ihn von unterwegs aus per SMS über mein Kommen informiert hatte, machte ich mir nicht erst die Mühe zu klopfen. »Ich bin’s!«, rief ich, trat ein und schloss die Tür hinter mir.
»Hier hinten!«
Ich folgte seiner Stimme ins Wohnzimmer und staunte, als ich Nate dort sitzen sah. Noch erstaunlicher war, dass der Fernseher nicht lief. Als mein Blick auf die Kaffeebecher und halb aufgegessenen Sandwichs aus dem Bistro nebenan fiel, wurde mir klar, dass Nate zum Reden vorbeigekommen war.
Mein Herz begann schneller zu klopfen.
Uh-oh. Das verhieß nichts Gutes, oder?
»Hey, Nate.« Ich lächelte gequält.
»Jo. Du siehst zum Anbeißen aus, wie immer.« Er grinste zu mir hoch und wischte sich
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