London Road - Geheime Leidenschaft
Alter.«
»Er ist kein bisschen so wie Dad«, sagte ich gepresst.
Olivia hob die Brauen. »Bravo, Dad«, tadelte sie.
Mick seufzte, peinlich berührt. »So habe ich es nicht gemeint.«
Bravo, Jo. »Das weiß ich doch«, lenkte ich ein. Es tat mir leid, dass ich so gereizt reagiert hatte. »Bei dem Thema bin ich einfach empfindlich.«
»Ist notiert.«
»Cole, ich bin Olivia.« Sie streckte ihm die Hand hin, und Cole wurde ein bisschen rot, als er sie schüttelte. »Schön, dich kennenzulernen.« Dann nahm sie unser Wohnzimmer in Augenschein. Was sie sah, schien ihr zu gefallen. »Wirklich hübsch habt ihr es hier.«
»Jo hat die Wohnung eingerichtet.« Ich war einigermaßen erstaunt über Coles überschwänglichen Tonfall. »Tapeziert, gestrichen, den Boden abgeschliffen … alles.« Seiner Stimme war der Stolz anzuhören.
»Ich bin beeindruckt.«
Ich spürte Onkel Micks vergnügten Blick auf mir. »Dann ist wohl einiges hängengeblieben von dem, was ich dir beigebracht habe.«
Ich zuckte verlegen mit den Schultern. »Ich mache so was halt gerne.«
»Das wissen wir.« Beim Klang von Mums Stimme hielt ich unwillkürlich den Atem an. Wir alle drehten uns um, als sie ins Wohnzimmer geschlurft kam. »Du machst es ja oft genug.« Cole und ich tauschten einen Blick. Wir erkannten sie kaum wieder. Sie hatte nicht nur geduscht, sondern war sogar angezogen. Ihre Haare waren geföhnt und gekämmt, und sie hatte Make-up aufgelegt. Sie trug eine Röhrenjeans, die ihr lose um die dürren Beine hing, und das schwarze Oberteil, das ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, obwohl ich nicht davon ausgegangen war, dass sie es jemals anziehen würde. Sie sah so gut aus wie seit Jahren nicht, und doch war Onkel Mick sein Entsetzen über ihre Erscheinung deutlich anzumerken.
Er ging an uns vorbei zu Mum, die ihn scheu anlächelte. Neben ihr wirkte er wie ein Riese. »Fiona. Schön, dich wiederzusehen.«
Sie nickte. Ihre Lippen zitterten ein wenig. »Ist lange her, Michael.«
»Das stimmt.«
»Hast dich kaum verändert.«
»Du dich aber, Liebes«, gab er leise zurück. In seiner Stimme schwang Kummer mit.
Mum zog in einer resignierten Geste die Schultern hoch. »Hab getan, was ich konnte.«
Onkel Mick erwiderte nichts, doch sein Gesichtsausdruck verriet, dass er der Ansicht war, sie habe nicht annähernd genug getan. Dem würde ich gewiss nicht widersprechen.
»Dad.« Als Olivia an seine Seite trat und beruhigend seine Hand nahm, merkte ich, wie mein letzter Rest Abneigung gegen sie verflog. Wie konnte ich jemanden, der meinen Onkel Mick so vergötterte, nicht mögen?
Mick drückte die Hand seiner Tochter. »Fiona, das hier ist meine Tochter Olivia.«
Nach diesem Satz war es mit dem Frieden vorbei.
Mum spitzte die Lippen, während sie Olivia ausführlich taxierte. »Ja, sie sieht genauso aus wie das amerikanische Flittchen, mit dem du es damals getrieben hast.«
Ich schloss vor lauter Scham die Augen und hörte Cole neben mir leise aufstöhnen.
»Fiona«, mahnte Mick.
»Lass nur, Dad.«
»Pah!« Mum schielte an Olivia vorbei zu mir. »Du hast mir gesagt, er kommt allein. Ich geh wieder ins Bett. Lasst mir was vom Abendessen übrig.«
Ich nickte und wartete voller Anspannung, bis sie verschwunden war. Als die Schlafzimmertür zuknallte, gab ich einen Stoßseufzer von mir. »Entschuldige bitte, Onkel Mick. Für ihre Verhältnisse war das schon gut. Olivia, es tut mir leid …«
»Ach was, vergiss es.« Olivia winkte ab. »Das macht doch nichts.«
»Ich kann nicht glauben, dass das dieselbe Frau ist.« Mick schüttelte ungläubig den Kopf, ging zurück zum Sofa und ließ sich schwerfällig darauf sinken. Die Begegnung hatte ihm sichtlich zugesetzt. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
Ich fand, dass Mum sich vergleichsweise zivil verhalten hatte – zumindest bis ihr Olivia vorgestellt worden war. »Es ist aber leider so.«
Wie eine Schildkröte, die auf der Suche nach Sonnenschein den Kopf unter ihrem Panzer hervorstreckt und feststellt, dass es draußen regnet, zog sich Mum danach noch stärker vor der Außenwelt zurück. Sie verließ kaum mehr ihr Schlafzimmer und ließ sich eine Kiste Schnaps vor die Wohnungstür liefern. Der einzige Hinweis darauf, dass sie noch lebte, war, dass das Essen, das ich ihr hinstellte, immer nach einer Weile verschwunden war. Jedes Mal, wenn ich bei ihr klopfte, um nach ihr zu sehen, knurrte sie mich an, ich solle verschwinden.
Ich wünschte mir, dass alles nicht so kompliziert
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