London Road - Geheime Leidenschaft
drückte seine Finger um meine Kehle und hielt mich fest.
Ich versuchte erneut zu schreien, doch seine andere Hand lag immer noch auf meinem Mund.
Als er den Griff um meinen Hals warnend verstärkte, erlahmte mein Widerstand.
Obwohl sein Gesicht fast vollständig im Dunkeln lag, sah ich deutlich seine Fratze der Wut. »Willst mich wohl in die Irre führen?«, zischte er.
Ich antwortete nicht, weil ich zu sehr mit der Frage beschäftigt war, was er mir antun würde. Ich begann am ganzen Leib zu zittern und rang verzweifelt nach Luft. Er spürte meine schnappenden Atemzüge an seiner Handfläche und grinste.
»Ich tu dir schon nichts, Jo. Ich will nur meinen Sohn sehen.«
Obwohl ich wusste, dass ich mir damit weitere Schmerzen einhandeln würde, schüttelte ich den Kopf.
Murrays Grinsen wurde breiter, als hätte er etwas gewonnen. »Tja, wir werden uns wohl irgendwie einigen müssen. Ich nehme jetzt die Hand von deinem Mund, und du wirst nicht schreien. Falls doch, kannst du was erleben.«
Ich nickte. Ich war froh, dass er wenigstens eine seiner dreckigen Pfoten von meinem Körper nahm. Als ich ihm ins Gesicht sah, fiel mir nicht zum ersten Mal auf, dass seine Augen vollkommen leer waren. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich einen Menschen getroffen, der so rücksichtslos und egoistisch war wie dieser Mann. War er wirklich mein Vater? Die einzige Beziehung, die wir je gehabt hatten, war die zwischen Täter und Opfer. Wegen ihm hatte mir jedes Mal die Angst wie ein Stein im Magen gelegen, wenn ich seine alte Rostlaube röchelnd vor unserem Haus vorfahren hörte. Die Liebe für Mick, die Wiedersehensfreude, das warme Gefühl von Glück und Geborgenheit, das ich in seiner Gegenwart verspürte – all das hätte ich eigentlich für diesen Kerl empfinden sollen. Aber mehr war er nie für mich gewesen: nur ein Kerl. Ein Kerl mit unbarmherzigen Augen und noch unbarmherzigeren Fäusten. Wie lange hatte ich mich innerlich aufgefressen, weil er mich nicht so liebte, wie ein Vater sein Kind lieben sollte? Immer und immer wieder hatte ich mich gefragt, ob etwas mit mir nicht stimmte. Als ich ihn jetzt ansah, staunte ich, wie ich mich das jemals hatte fragen können. Nicht ich war das Problem. Sondern er. Er war das Stück Dreck, nicht ich.
Sobald er die Hand von meinem Mund nahm, holte ich tief Luft, aber dann verstärkte er warnend den Druck auf meine Kehle, damit ich still blieb.
»So.« Er kam mir ganz nahe. Er war nicht im Club 39 gewesen, musste aber in irgendeiner anderen Bar in der Nähe auf mich gewartet haben. »Vielleicht könnte ich mich dazu durchringen, den Kleinen in Ruhe zu lassen, wenn dein Freund was springen lässt. Sagen wir, hunderttausend?«
Ich hatte es gewusst. Kein langes Gerede um den heißen Brei. Cole war ihm scheißegal. Er war noch genauso eiskalt wie früher. Wie konnte ein Mensch so sein? War er schon ohne Seele zur Welt gekommen, mit einem tiefschwarzen, verfaulten Herzen? Oder hatte ihn das Leben erst zu dieser Kreatur gemacht? Wie konnte man seinen eigenen Kindern weh tun und sich dabei nicht wie ein Monster vorkommen? Vielleicht, wenn man ein Monster war, das schon längst nicht mehr wusste, dass es sich in ein Monster verwandelt hatte …
»Du hast Pech. Ich bin schon seit Monaten nicht mehr mit Malcolm zusammen.«
Seine Finger schlossen sich erneut um meine Kehle, und Panik wallte in mir auf. Instinktiv griff ich nach seiner Hand. Ich krallte meine Nägel in seine Haut, doch er schien das gar nicht zu spüren. »Ich bin mir sicher, dass du ihn irgendwie rumkriegen kannst.« Sein Mund war ganz dicht vor meinem Gesicht, so dass mir sein stinkender Atem entgegenschlug. »Ich hab ein hübsches Mädchen in die Welt gesetzt. Sie taugt nichts, aber sie ist hübsch. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, Jo. Nutz ihn. Nutz ihn, oder ich komme und hole mir Cole.« Er ließ mich los, und ich schnappte nach Luft und betastete meinen Hals, wie um mich davon zu überzeugen, dass seine Hand wirklich nicht länger da war. »Wenn ich es drauf anlege, kann ich euch das Leben zur Hölle machen, Mädchen.«
Bei diesen Worten übernahm die Wut die Kontrolle über mich. Wut, weil er Cole und mich nach so langer Zeit immer noch quälen konnte. Nachdem wir geglaubt hatten, wie seien frei. Mein Zorn loderte so hell, dass all meine Furcht zu einem Häufchen Asche verbrannte. »Wettbewerbsvorteil? Das ist aber ein ziemlich kompliziertes Wort für dich, Murray. Hat dir endlich jemand das Lesen beigebracht?«
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