London Road - Geheime Leidenschaft
bearbeitet hatte, endlich gekommen war, hatte sie mich im ersten Moment einfach nur in stummem Entsetzen angestarrt. Sie war im Pyjama, schlief noch halb, und die Haare standen ihr wirr vom Kopf ab. Als ich mit schmerzverzerrter Miene, das Gesicht und Oberteil verschmiert von getrocknetem Blut, auf sie zustolperte, bekam ich zum ersten Mal einen echten Beweis dafür, wie viel ich ihr bedeutete. Sie zog mich in die Wohnung, und ich spürte, wie sie am ganzen Leib vor mühsam zurückgehaltener Wut bebte. Sie führte mich ins Wohnzimmer, während sie gleichzeitig mit heiserer Stimme nach Braden rief.
Ich sackte auf der Couch zusammen. Nun, da ich am Ziel war, verließen mich meine Kräfte, und ich war nur noch müde. Während Joss versuchte, die Wunde an meiner Lippe zu säubern, berichtete ich, was geschehen war. Danach legte Braden mit seinem Neandertaler-Drohverhalten los.
»Sieht es sehr schlimm aus?«, fragte ich Joss kläglich und betastete mit den Fingerspitzen die Haut um die Wunde herum. Sie war geschwollen und tat weh.
Joss zog die Brauen zusammen. »Du kannst von Glück sagen, dass er dir keinen Zahn ausgeschlagen hat.« Dann betrachtete sie kritisch meine linke Seite. »Jemand sollte sich mal deine Rippen ansehen.«
»Ich glaube nicht, dass sie gebrochen sind.«
»Ach, bist du seit neuestem Ärztin?«
»Joss«, seufzte ich. »Wenn du mich ins Krankenhaus fährst, werden sie mir da jede Menge Fragen stellen, und dann kommt womöglich die Polizei ins Spiel, und ich kann im Moment einfach nicht riskieren, dass das Jugendamt unsere Familienverhältnisse unter die Lupe nimmt. Mum geht es schlechter denn je. Vielleicht nehmen sie mir dann Cole weg.«
»Jo, deine Mum kann nichts für ihre Krankheit, und du bist doch da und kümmerst dich um ihn.«
Ich warf Joss einen Blick zu, der ihr sagen sollte, wie großartig ich sie fand. Sie hatte mein Geheimnis für sich behalten und nicht einmal Braden davon erzählt. Ihre Loyalität rührte mich zutiefst, aber ich hatte es satt, ständig Geheimnisse mit mir herumzutragen – als wäre die Sache mit meiner Mutter etwas, dessen ich mich schämen müsste. »Braden, meine Mutter leidet nicht unter chronischen Erschöpfungssyndrom. Sie liegt den ganzen Tag im Bett und säuft.«
Braden quittierte dieses Bekenntnis mit nichts weiter als einer hochgezogenen Braue. Eine Zeitlang sagte niemand etwas, dann kam er zu mir und hockte sich mir gegenüber auf den Couchtisch. Ich verlor mich für einen Moment in seinen blauen Augen. »Ich rufe morgen früh unseren Hausarzt an, damit er sich deine Rippen mal ansieht. Er ist sehr diskret. Bist du damit einverstanden, dich von ihm untersuchen zu lassen?«
»Natürlich ist sie das«, antwortete Joss unwirsch an meiner Stelle.
Ich sah sie nicht an, spürte aber ihren herausfordernden Blick auf mir, als wolle sie sagen: »Wage es ja nicht, zu widersprechen.« Ich nickte, und die Sofapolster gaben nach, als Joss sich erleichtert zurücksinken ließ.
»Aber bevor ich zum Arzt gehe, muss ich mir erst darüber klarwerden, was ich jetzt machen soll.« Ich schaute von Braden zu Joss. Verzweiflung und Entschlossenheit kämpften in mir. »Ich darf ihn auf keinen Fall in Coles Nähe lassen.«
»Er will Geld von Malcolm?« Joss schürzte voller Verachtung die Lippen.
»Ja.«
»Und warum bist du dann nicht zu Malcolm gegangen?«, fragte sie mit unverhohlener Neugier. »Er würde es dir doch sofort geben.«
»Stimmt«, pflichtete ich ihr bei. Meine Stimme war leise und trotzdem scharf. »Aber er stammt aus einem Leben, das ich gar nicht mehr als meins wiedererkenne. Ich will nicht dahin zurück. Wenn ich zu ihm gehe und an seine Loyalität mir gegenüber appelliere, werde ich wieder zu jemand anderem. Damit muss Schluss sein. Ich bin Jo und niemand sonst. Und ich weiß jetzt auch, dass ich nicht alles alleine schaffen kann.« Ich schenkte ihr ein verunglücktes Lächeln. »Zum Glück ist mir endlich klargeworden, dass ich Freunde habe, denen ich vertrauen kann.«
Joss schluckte schwer. Dann nahm sie meine Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen. »Ja, die hast du.« Als sie sich danach zu Braden umdrehte, war ihre Miene wild und gefährlich. »Wir sorgen schon dafür, dass er dich nicht mehr belästigt. Wir bezahlen ihn, damit er verschwindet.«
Braden nickte widerstrebend. Man sah es ihm deutlich an: Er wollte Murray kein Geld geben. Er wollte es ihm mit gleicher Münze heimzahlen.
Die Schmerzen in meiner Seite und mein verletzter
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