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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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liebevoll, »sind unsere Fabelwesen.«
    Einige davon waren Ducket bekannt: ein furchterregender Drache, ein hübsches Einhorn. Andere waren sehr sonderbar: ein Greif, halb Löwe, halb Adler; ein Basilisk, dessen Vorderteil aus einem Hahn, das Hinterteil aus einem Reptilienschwanz bestand, ein Panther, der Feuer spie, ein Seelöwe, der als Löwe mit einem Fischschwanz abgebildet war, und natürlich eine Meerjungfrau.
    »Nun, ist Euch etwas ins Auge gefallen, das Ihr gerne hättet?« fragte der Beamte schließlich.
    »Ich hätte eigentlich gerne eine Ente«, sagte Ducket, auch wenn er sogleich die Enttäuschung auf dem Gesicht des Beamten bemerkte. »Eine Ente auf einem Fluß.«
    Dies war gar nicht so einfach, wie Ducket angenommen hatte. Sein erster Vorschlag, eine grüne Ente vor einem blauen Hintergrund, wurde sofort abgelehnt. »Man kann nicht eine Farbe auf eine andere Farbe aufmalen«, erklärte der Beamte. »Man trägt Gold oder Silber auf eine Farbe auf oder eine Farbe auf Gold oder Silber. Dann wirkt es besser. Wir schlagen oft einen Fluß vor, der sich über das Feld windet. Ich werde es Euch zeigen.«
    Schließlich blickte Ducket auf einen Entwurf eines Schilds. Der Hintergrund war Silber. Über die Mitte wanden sich zwei dicke blaue Streifen, die den Fluß darstellten. Und es gab drei rote Enten, zwei oberhalb und eine unterhalb der blauen Streifen. Dies alles mußte noch in der korrekten Sprache der Wappenkunst beschrieben werden, der sogenannten Wappenschilderung: »Argent, zwei Balken azure, zwischen drei Enten gutes«, sagte der Beamte. »Das Wappen der Duckets.«
    Der Mann, der vor dem Gericht im Rochester Castle stand, hatte schon bessere Zeiten gesehen. Sein schwarzer Umhang war von Flecken übersät; das Hemd war zwar aus teurem Stoff, doch sehr abgetragen; Chaucer und der Gerichtsbeamte, der neben ihm saß, musterten den Burschen neugierig. Der Dichter hatte den Eindruck, ihn schon einmal gesehen zu haben. Er sagte, er hieße Simon le Clerk und komme aus Oxford. Er trug seine Verteidigung in wohlgewählten, gebildeten Worten vor.
    »Die Wahrheit, hochverehrte Herren, ist die, daß ich tatsächlich Geld von diesem Müller genommen habe.« Mit einer abfälligen Geste wies er auf einen ziemlich vulgär aussehenden Kerl. »Er ging eine Wette mit mir ein, die ich gewonnen habe. Ich hielt ihn zu diesem Zeitpunkt für nüchtern, doch wenn er nun plädiert, daß er dies nicht war, dann werde ich ihm meinen Gewinn zurückgeben, was genau die Hälfte der Summe ist, die ich ihm angeblich abgenommen habe. Seine übrigen Vorwürfe – daß ich ein Magier sei, ein Nekromant, daß ich ihm versprochen hätte, unedles Metall in Gold zu verwandeln – sind absurd. Hat er denn Beweise dafür? Sind denn irgendwelche Zutaten dieses ruchlosen Geschäftes bei mir oder in meiner Unterkunft gefunden worden? Natürlich nicht, denn es gibt sie nicht und hat sie nie gegeben. Ehrwürdige Herren, offenbar versucht dieser Kerl auf unverschämte Weise Gold herzustellen, nicht ich.«
    Die Richter lächelten. Der Angeklagte hatte wohl gesprochen. Der Müller schüttelte wütend den Kopf, aber offenbar hatte er tatsächlich keine Beweise.
    »Zahlt zurück, was Ihr gewonnen habt«, befahl Chaucer, »und damit sei die Sache abgeschlossen.« Der Gerichtsbeamte nickte gerade zustimmend, da kam Bull in den Saal.
    »Mein Gott«, rief er, »Silversleeves!«
    Es war der letzte Tag seines Aufenthalts bei Chaucer. Ein Jahr war verstrichen, seit er London verlassen hatte, und seit Anfang Juli hatte er das Gefühl, daß es an der Zeit sei zurückzukehren. An diesem Morgen hatte er die edle Kathedrale von Rochester besucht, bevor er sich zur Burg aufgemacht hatte, um sich von seinem Freund zu verabschieden.
    In kurzen Worten erklärte er nun Chaucer alles, was er wußte, woraufhin dieser abermals das Wort ergriff. »Aus dem Mund eines Zeugen von tadellosem Charakter«, erklärte er Silversleeves, »haben wir nun erfahren, daß Ihr uns einen falschen Namen angegeben habt, daß Ihr aus London, nicht aus Oxford kommt und daß Ihr schon einmal desselben Verbrechens verdächtigt worden seid. Nun steht Euer Wort gegen das des Müllers. Ich muß Euch mitteilen, daß dieses Gericht dem Müller glaubt. Deshalb verurteile ich Euch dazu, dem Müller die volle Summe zurückzuzahlen, die dieser von Euch fordert, und den morgigen Tag am Pranger zu verbringen. An Eurem Nacken soll ein Schmelztiegel baumeln!«
    Gilbert Bull machte sich frohgemut auf seinen Weg

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