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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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mit Eichenbalken und einem ziegelgedeckten Dach. Das obere Geschoß hatte zwei Zimmer und eine Dachstube; außerdem waren Nebengebäude vorhanden, und ein hübscher Garten führte hinab zum Ufer des Flusses.
    Während der ersten Wochen, in denen Rowland für den Lordkanzler arbeitete, hatte sie oft an ihr Zusammentreffen mit dem König gedacht. War es ein Fehler gewesen, es Rowland zu verheimlichen? Im Laufe der Zeit legten sich ihre Ängste allmählich. Wenn Rowland von Westminster heimkam, erzählte er stets nur, wie freundlich man ihn dort behandelte. Das Haus war wunderbar, und ihr neues Einkommen verlieh ihr ein Gefühl des Behagens, das sie zuvor nie gekannt hatte. Auch die Kinder waren glücklich. Allmählich begann sie die ganze Sache aus dem Gedächtnis zu streichen.
    Ihre älteste Tochter Jane, nur zehn Jahre alt, war ihre größte Hilfe im Haushalt; doch jeden Tag ließ Susan sie drei Stunden mit ihren Büchern arbeiten, während die beiden kleinen Mädchen spielten. Jane beherrschte Latein bereits ganz gut.
    Am meisten liebte sie es, den kleinen Jonathan zu beobachten. Die Mädchen waren alle blond, er jedoch mit seinem dunklen Haar und dem blassen, konzentrierten Gesicht war deutlich eine achtjährige Ausgabe seines Vaters. Er ging in Westminster zur Schule. Oft nahm sein Vater ihn morgens mit, und sie sah ihnen nach, wie sie Hand in Hand die Straße entlanggingen oder wie Rowland, wenn er das Pferd nahm, den Jungen vor sich auf den Sattel setzte. Dann überkam sie manchmal eine solche Welle von Glück und Zuneigung, daß sie einen Kloß im Hals spürte.
    Peter war immer noch fort, und seine Gesellschaft und seinen klugen Rat vermißte sie sehr. Doch ihr Bruder Thomas begann seinen Platz einzunehmen. Rowland brachte ihn oft mit nach Hause, wo er gerne mit den Kindern spielte. Manchmal, wenn sie zu dritt vor dem Feuer saßen, sprachen sie über Religion. Susan spürte, daß hinter Thomas' unbekümmertem Tonfall und all seiner Weltlichkeit ein Bedürfnis nach einem einfachen Glauben steckte, das sie zuvor nicht bemerkt hatte, und sie mochte ihn dafür um so lieber. Manche seiner Ansichten über die Nachlässigkeit und den Aberglauben, die sich in der Kirche breitgemacht hatten, konnte sie fast teilen. Obwohl er manchmal zu weit ging.
    »Ich kann nicht verstehen, mit welchem Recht wir den Gläubigen eine englische Bibel vorenthalten«, sagte er etwa. »Ich weiß, Rowland, du wirst auf die Lollarden verweisen und sagen, daß das Volk, wenn es sich selbst überlassen wird, in die Irre geht. Aber ich kann dir nicht zustimmen.«
    »Luther hat als Reformator begonnen und als Ketzer geendet. Dazu kommt es, wenn Menschen sich gegen die Weisheit und Autorität von Jahrhunderten auflehnen«, antwortete Rowland.
    »Die Reformatoren wollen, daß jedermann vollkommen ist«, klagte Susan. »Doch Gott belohnt uns alle dafür, daß wir unser Bestes tun.«
    »Auf die eine oder andere Weise wird eine Reform kommen, Schwester«, antwortete Thomas. »Es muß sein.«
    »Zumindest eines ist sicher«, lächelte Rowland. »Wenn es nach König Heinrich geht, wird es in England keine Protestanten geben. Er verabscheut sie.«
    Wie froh Thomas Meredith auch war, den Menschen, die ihm nahestanden, Freude zu bereiten, so beschäftigte ihn doch eine Zusammenkunft ganz anderer Art, die zwei Tage vor der königlichen Taufe stattgefunden hatte. Ein streng vertrauliches Treffen mit Cromwell, seinem Dienstherrn.
    Der königliche Minister faszinierte Meredith. Nichts wies darauf hin, daß der engste Ratgeber des Königs der Sohn eines bescheidenen Brauers war. Er war nicht wie Bull durch seine Gelehrsamkeit aufgestiegen, sondern durch seine skrupellose Art, alle Angelegenheiten anzupacken. Trotzdem hatte er sich eine Art geheimnisvoller Zurückhaltung bewahrt, hinter der sich vielleicht eine bestimmte Überzeugung verbarg. Nur sehr wenige Menschen, dachte Meredith, bekamen auch nur einen flüchtigen Eindruck davon.
    Sie befanden sich allein in einem Raum im oberen Geschoß, als der königliche Minister ihm zuflüsterte, er habe Neuigkeiten aus Rom. »Der Papst wird den König exkommunizieren«, teilte Cromwell dem jungen Mann mit. Thomas zeigte sich besorgt, doch Cromwell zuckte nur die Achseln. »Nach allem, was Heinrich getan hat, bleibt dem Papst nichts anderes übrig, um sein Gesicht zu wahren. Aber trotzdem sagt Seine Heiligkeit immer noch nicht, wer seiner Meinung nach Heinrichs legitime Gattin ist.« Es lag auf der Hand, daß der

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