London
es unangenehm.«
»Aber schließlich ist Morus Anwalt. Er muß seine Gründe haben«, meinte Rowland. Susan schnaubte voll Abscheu. Denn so fromm sie auch war, gab es doch in London einen Mann, gegen den sie eine tiefe Abneigung gefaßt hatte, und das war Sir Thomas Morus.
Die Geschichte behandelt Sir Thomas Morus, nicht ohne Grund, häufig freundlich. Doch zu seinen Lebzeiten war die Abneigung, die Susan verspürte, wohl eher die Regel. In ihrem persönlichen Fall gab es mehrere Gründe dafür. Seit er sich vor zwei Jahren zurückgezogen hatte, verbrachte er die meiste Zeit in seinem Haus am Fluß in Chelsea, kaum eine halbe Meile von ihrem eigenen entfernt. Während Susan seine geschäftige Frau und andere Mitglieder seiner umfangreichen Familie häufig sah, bekam man den großen Mann, der eifrig schrieb, nur selten zu Gesicht. Und obwohl Leute, die ihn kannten, sagten, er sei liebenswürdig und geistreich, fand sie die bleiche Gestalt mit dem ergrauenden Haar bei den wenigen Gelegenheiten, wenn sie ihm begegnete, recht unnahbar, und zudem spürte sie, daß er eine geringe Meinung von Frauen hatte. Doch ihre eigentliche Abneigung gegen ihn ging auf seine Zeit als Kanzler zurück. Damals war eine beunruhigende Seite seines Charakters offenkundig geworden.
Er empfand eine leidenschaftliche Abneigung gegen Ketzer. Obwohl er nicht die heiligen Weihen empfangen hatte, ernannte er sich mehr oder weniger selbst zum religiösen Wachhund des Königs. Als leidenschaftlicher Anwalt gefiel es ihm, sowohl die Rolle des Anklägers als auch die des Richters zu übernehmen. Hin und wieder wurden Personen, die man der Häresie verdächtigte, zum Verhör, das er oft selbst führte, nach Chelsea gebracht. Seine Integrität und sein Intellekt wurden nie angezweifelt, doch Susan hielt ihn für besessen. Anders als andere Länder hatte England glücklicherweise kaum Ketzerverfolgungen erlebt. »Morus ist ein Eiferer«, protestierte sie daher nun.
»Überleg doch«, warf Thomas ein. »Dieser Eid ist keine Glaubensangelegenheit; er betrifft lediglich die Erbfolge. Und er wurde vom Parlament verfügt. Willst du dich gegen das Parlament stellen?« Das war die richtige Tonart in der Sache – die Tonart, die Cromwell so umsichtig angeschlagen hatte.
Das englische Parlament war immer noch stark mittelalterlich geprägt. Für einen mächtigen König wie Heinrich hatte es jedoch einen besonderen Nutzen: Es konnte den königlichen Willen bestätigen. Wenn das Oberhaus, in dem auch die Bischöfe und Äbte saßen, und das Unterhaus sich gemeinsam äußerten, wer konnte dann leugnen, daß dies die vereinte Stimme, weltlich und geistlich, des ganzen Königreichs war?
»Aber es geht um die Präambel«, wandte Rowland ein. »Leugnet sie nicht die Autorität des Papstes über das Sakrament der Ehe?«
»Man kann dieser Ansicht sein«, räumte Thomas ein. Tatsächlich war die Formulierung ein sorgfältig ausgearbeiteter Kompromiß zwischen Cromwell und den Bischöfen, und die genaue Bedeutung war absichtlich unklar. »Aber die Bischöfe akzeptieren sie. Und wir alle wissen, daß die Sache aufgrund der unmöglichen Lage, in der der König und der Papst sich befinden, notwendig ist.«
Das war ein gewichtiges Argument, und Susan sah, wie ihr Mann zögerte. »Du mußt den Eid leisten«, erklärte sie fest. »Du kannst nicht deine Laufbahn und deine Familie vernichten. Nicht dafür.«
»Ich vermute, du hast recht.« Rowland nickte.
Hatte sie wirklich recht? fragte sich Susan. Oder sagte ihr Instinkt ihr, daß Fisher und Morus den wesentlichen Kern der Sache richtig erkannt hatten?
Obwohl Rowland, nachdem Thomas gegangen war, nach außen hin ruhig schien, verriet ihr seine Blässe, daß sein Gewissen ihn quälte. Und sie wünschte, sie könnte ihm etwas sagen, das seine Seele zur Ruhe bringen würde.
Sie war froh, als früh am nächsten Morgen aus dem Dunst über dem Fluß ein Boot auftauchte; ein paar Minuten später begrüßte sie ihren Bruder an der Tür.
»Ich bin gestern abend im Charterhouse gewesen«, berichtete Thomas.
»Sie leisten alle den Eid.« In Wahrheit hatten die strengen Kartäuser nur unter großen Vorbehalten zugestimmt, doch er sah keine Notwendigkeit, darauf näher einzugehen. »Wenn das Charterhouse, in das Peter eintreten wird, das tun kann, dann kannst du es auch.«
Rowlands Gesicht entspannte sich. Gott sei Dank, dachte Susan, haben wir Thomas.
Als Dan Dogget sich eines schönen Maimorgens zum Dienst meldete, bot er wie
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