London
beiden Frauen Vom Winde verweht angesehen, um sich vom Krieg abzulenken. Am Abend zuvor hatten sie zusammen im Garten gestanden und zugesehen, wie die Flugzeuge wieder und wieder über London donnerten und rote Flammen zum Himmel schlugen, denen ganze Wolken glühender Asche nachstoben. In der letzten Nacht hatte es erneut das Eastend getroffen. Wo würden die Bomben heute einschlagen?
»Wir müssen los«, sagte Percy. Er und Herbert, beide nun über sechzig, halfen nachts bei der kleinen Feuerwache in der Nähe aus. Maisie hätte ihren Mann lieber im Haus gehabt. »Aber es ist gut für sie, wenn sie zusammen sind«, munterte Jenny sie auf.
Genau um sechs Uhr war Charlie wieder unterwegs. Bevor er ging, hatte es jedoch Streit gegeben. Der Anlaß war jedesmal derselbe, seit die drei größeren Kinder evakuiert waren und Ruth sich geweigert hatte, Charlie zu verlassen. Er machte sich immer Sorgen, wo sie und das Baby hingehen sollten. Die eine Möglichkeit war der öffentliche Luftschutzraum. In der Innenstadt war das die U-Bahn oder ein anderer Keller. Aber in Battersea war das einfach ein umfunktioniertes, durch Sandsäcke geschütztes Gebäude, wo man gemeinsam die Gefahr teilte. Ein direkter Treffer genügte, und man starb gemeinsam. Die zweite Möglichkeit war ein kleiner Privatbunker. Diese sogenannten Anderson-Bunker bestanden aus einer halbkreisförmigen Röhre aus Wellblech, gerade hoch genug, daß man gebückt hineingehen konnte. Man konnte sie halb in den Garten eingraben, mit Sandsäcken befestigen und mit Erde zuschütten. Solange eine Bombe nicht direkt darauf fiel, hatte man bei einem Luftangriff recht gute Überlebenschancen.
Der kleine Hintergarten der Doggets war für den Kriegszustand hergerichtet. Zuerst hatte der Rasen einem Gemüsebeet weichen müssen. Daneben stand ein kleiner Stall mit drei Hühnern, die für Eier sorgten. Dahinter war der Schutzraum. Ruth haßte ihn. »Ich ertrage es einfach nicht, in dem kleinen Ding eingesperrt zu sein«, beschwerte sie sich. Blieb also noch die dritte Möglichkeit: unter der Haustreppe. Charlie hatte die Hintertür und das Fenster mit Sandsäcken geschützt, so sicher es nur ging. Trotzdem versuchte er sie jeden Abend zu überreden, in den Anderson-Bunker zu gehen.
»Ich kann nicht länger herumstehen und streiten«, sagte er schließlich. In Uniform, mit Helm und Stiefeln machte sich Charlie Dogget auf zu seiner gefährlichen Nachtarbeit.
Neville Silversleeves war ein Mann, der von Natur aus Verantwortung übernahm. Es kam ganz von selbst; man bat ihn, bestimmte Aufgaben zu übernehmen, und er erledigte sie immer gut. Schon in jungen Jahren war er seinem Vater als Leiter der angesehenen Anwaltskanzlei Odstock, Alderbury und Silversleeves nachgefolgt. Er war groß, hatte schütteres schwarzes Haar und eine sehr lange Nase. Als gutes Mitglied der Kirchengemeinde, dessen Kanzlei Arbeiten für die Diözese übernommen hatte, war er Stabträger von St. Paul's und einer der Luftschutzwarte in der City und in Holborn. In den letzten Monaten waren diese Luftschutzwarte in ganz London sehr unbeliebt geworden, weil sie so unbarmherzig auf der Einhaltung der Verdunkelung bestanden – eine Vorschrift, die aufgrund der unkorrekten Information, selbst eine brennende Zigarette könne von einem deutschen Bomber in fast zweitausend Meter Höhe gesehen werden, streng befolgt wurde. In der City selbst wohnten nur wenige Menschen, aber da so viele Banken, Büros und Kirchen geschützt werden mußten, trugen die Luftschutzwarte große Verantwortung und waren durch Bomben und Brände sehr gefährdet.
An diesem Abend hatte Neville Silversleeves Dienst.
Die Feuerwache der beiden Fleming-Brüder lag im Abschnitt 84, am äußeren Rand, der noch in die Zuständigkeit der Londoner Region fiel, in einem evakuierten Schulhaus. Als Ausrüstung dienten vier Taxis mit Leitern, drei Pumpenanhänger, ein Lastwagen und zwei Motorräder. Die Mannschaft traf kurz nach sechs ein, aber es konnte Stunden dauern, bis man sie rief, um die überlasteten Trupps im Zentrum zu unterstützen. Zwei Frauen bedienten die Telefone. Außer dem hauptamtlichen Leiter der Wache, einem festangestellten Feuerwehrmann, waren sie alle Freiwillige des Auxiliary Fire Service, kurz AFS genannt. Percy und Herbert waren Ersatzmänner, und Percy übernahm zumeist den Küchendienst. Im großen Klassenzimmer hatten die Männer eine Dartscheibe aufgehängt, und Herbert machte sich beliebt, wenn er auf dem alten
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