Londons Albtraum-Nächte
so gut wie keine Miete für seine kleine Wohnung zu bezahlen, in der er mit seiner Frau lebte, die hin und wieder einem Teilzeitjob als Krankenschwester nachging. Sie wurde geholt, wenn Not am Mann oder an der Frau war, wie sie immer sagte, und sie war ebenfalls froh, diese Arbeit zu haben, denn sie kam raus aus ihrem Gefängnis. So nannte sie das Viertel immer. Es war für sie so etwas wie ein Knast.
Auch an diesem Sonntagabend hatte sie Nachtschicht. Sie würde erst gegen sieben Uhr am nächsten Morgen zurückkehren, um sich dann hinzulegen, zu schlafen und erst am Nachmittag wieder aufzustehen.
Tom kannte den Rhythmus. Es machte ihm nichts aus. Er konnte sich auch die Nächte allein vertreiben. Dann hockte er zumeist bis weit nach Mitternacht vor der Glotze. Oder setzte sich an das Fenster der Küche, um nach draußen zu schauen. Man glaubte kaum, wie viele Leute sich dort auf der Straße aufhielten. Lichtscheues Gesindel, das sich um die Hausecken drückte.
Im Sommer zogen des Öfteren besoffene Touristen durch das Viertel, aber damit brauchte man im Winter nicht zu rechnen. Da war diese Ecke von Soho wie tot.
Die Wohnung glich einem breiten Schlauch. Hinter der Küche lag der Wohnraum, danach das kleine Schlafzimmer und in einem winzigen Anbau die Toilette, die Brixon selbst eingebaut hatte.
Er war ein Mann, der trotz allem noch auf seinen »Bauch« achtete. So beschrieb er dann seine Gefühle. Er konnte auch daher stammen, dass er sehr wetterfühlig war. Er neigte zwar nicht zu Depressionen, aber er achtete auf seine bad feelings , und die konnte er an diesem Abend nicht unterdrücken.
Woher sie stammten, wusste er nicht. Und wenn er diesen Zustand erreicht hatte, dann gab er sich selbst gegenüber zu, dass etwas in der Luft lag. Nie was Gutes. Immer etwas, auf das er achten musste.
Für ihn war die Küche der Hauptraum der Wohnung. Wer sie vom Flur her betrat, der geriet sofort hinein und damit auch in die bullige Wärme einer alten Heizung. Nicht in allen Häusern gab es sie. Die meisten Bewohner heizten noch mit Kohle, aber Tom bekam die Wärme durch die Heizung. Die Luft gefiel ihm nicht. Sie war immer sehr trocken. Er musste deshalb viel trinken, und zu seinem Lieblingsgetränk zählte er das Bier.
An diesem Abend hatte er zwei Dosen geleert, einen scharf gepfefferten Käse gegessen, dazu Brot und einen Gin getrunken. Jetzt saß er auf seinem Lieblingsplatz, einem Lehnstuhl, der so aufgestellt worden war, dass er auf den Fernseher und auch durch das Fenster nach draußen schauen konnte, ohne dass es große Probleme gab.
Es lief nicht alles rund in dieser Nacht. Irgendetwas würde noch passieren, das spürte Brixon. Die Unruhe lag in der Luft, aber auch in ihm selbst.
Er stand auf.
Tom Brixon war ein großer Mann mit breiten, knochigen Schultern. Auch sein Gesicht sah aus wie gehämmert. Das breite Kinn sprang stark hervor. Die Augen hatten sich dem Grau der Haare angepasst, und die Nase saß wie ein kleiner Bauklotz in seinem Gesicht. Etwas schief. Ein alter Bruch war nie richtig verheilt.
Der Mann trug dunkelgraue Jeans. Dazu ein Flanellhemd und eine schwarze speckige Weste mit vielen Taschen, in denen Brixon alles Wichtige aufbewahrte. Unter anderem auch sein Handy, das seine Melodie nur selten abgab, weil er seine Nummer kaum bekannt gegeben hatte. Einige Vertrauen erweckende Hausbewohner wussten sie. Die anderen konnten ihn über den normalen Anschluss erreichen.
Brixon musste seine Unruhe einfach loswerden. Wenn nicht, würde er keine Ruhe finden, und für ihn gab es nur eine Alternative. Er würde sich umschauen. Durch das Haus gehen oder durch die Häuser. Erst wenn er da nichts feststellte, würde er ruhiger sein.
In den Taschen seiner Jeans war alles Wichtige verteilt. Der Allroundschlüssel hing ebenfalls am Bund. Mit ihm kam er in die Kellerräume hinein, nicht in die Wohnungen.
Tom Brixon verließ seine Wohnung und schloss die Tür hinter sich ab. Der Sonntagabend gehörte zu den ruhigen Tagen der Woche. Am Freitag und am Samstag sah es anders aus, doch der Tag vor dem Montag war für die meisten Bewohner irgendwie frustig.
Es gab überall im Haus Licht. Die Leitungen schoben sich wie tote Schlangen an den Wänden entlang, und die Lampen waren fest an der Decke angebracht worden. Als Schutz diente ein Gitter, was nicht immer ausreichte, denn oft genug waren die Lampen zerstört worden. Dann hatte Tom wieder den Ärger mit der Reparatur.
Es gab noch eine zweite Wohnung hier
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