Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
Vom Netzwerk:
ließen uns nieder. Napiers forschender Blick ruhte einen Moment lang auf mir. »Du bist sehr jung.«
    »Das sollte sich mit dem Alter geben«, witzelte ich.
    Wieder schaute Napier zu Tony. Hatte der ihm einen Klugscheißer angeschleppt? Ich beschloss, seine nächste Frage ernsthaft zu beantworten.
    »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »ich denke, du bist zu jung. Rein rechtlich gesehen bist du zu jung, um für uns zu arbeiten, aber ich verlasse mich hier auf Tonys Intuition. Natürlich habe ich deinen Bruder gekannt. Mein Beileid.« Napier hielt inne und drehte den Siegelring an seinem kleinen Finger. »Tony glaubt, du hast was von dem, was Stephen hatte.«
    Meine Gefühle waren immer noch gemischt. Aber dass Tony mit Napier über mich gesprochen und mich mit Steve in einen Topf geworfen hatte, schmeichelte mir extrem.
    Napier blickte in seine Unterlagen und dachte einen Augenblick nach. »Auf dem Papier kommst du gut rüber«, sagte er und schob sie über den Tisch, damit ich draufschauen konnte. Auf drei A 4-Blättern lag mein ganzes Leben ausgebreitet: mein Geburtsdatum, meine Blinddarmoperation mit fünf, meine Schulen, meine Noten und sportlichen Leistungen. Dann der persönlichere Kram: eine Liste mit zwei, dreiMädchen und der Name einer festeren Freundin, mit der es letztes Jahr auseinandergegangen war. Schließlich Fotos: ich als Kind auf dem Fahrrad; wie ich in der Boxhose verschwitzt einen Pokal hochhalte, wie ich im Judoanzug meinen braunen Gürtel in Empfang nehme.
    »Wo habt ihr das alles her?«, fragte ich und sah Tony ins Gesicht.
    »Kinderspiel«, lächelte er.
    »Und was, meinst du, sagt das über dich aus?«, fragte Napier.
    »Wirkt ziemlich überschaubar«, sagte ich. »Ich hab nie groß Ärger gehabt.«
    »Auf all diesen Fotos bist du alleine«, erklärte Napier. »Alle Sportarten, die du betrieben hast, sind Mann gegen Mann.«
    Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Kumpel hatte ich schon, aber im Grunde reichte mir meine eigene Gesellschaft völlig aus.
    »Mannschaftssport ist wohl nicht so mein Ding«, sagte ich nach einer Weile.
    »Aus unserer Sicht vielleicht nicht das Schlechteste.« Napier griff zum Telefon und tippte eine Nummer ein. Obwohl er nichts mehr zu mir sagte, spürte ich, dass ich eine Art Test bestanden hatte.
    »Kannst du reinkommen, Ian?«, bellte Napier in den Hörer.
    Wenige Sekunden darauf betrat ein langer, sehniger Mann das Zimmer, der mir auf Anhieb unsympathisch war. Er mochte wohl Anfang dreißig sein, sah aber so aus, als bräuchte er noch keinen Rasierer. Seine glatte, fahle Haut spannte um das schmale Gesicht. Er hatte eine kurze Kräuselfrisurund zusammengekniffene Lippen. Ohne eine Miene zu verziehen, stellte er sich hinter Napier an den Schreibtisch und sah auf mich herab.
    »Ian«, sagte Napier, »Tony Morris kennst du ja, und dies ist   …«
    Er blickte auf die Notizen vor ihm. Verwendete den Namen, den ich bald verlieren sollte.
    Der dünne Mann nickte in Tonys Richtung und nahm dann wieder mich ins Visier.
    »Das ist Ian Baylis«, sagte Napier. »Er wird dein Führungsoffizier sein.«
    Ich hatte keine Ahnung, was ein Führungsoffizier so machte, aber es schien mir, als fände Ian Baylis es nicht besonders reizvoll, ihn für mich zu spielen.
    »Jetzt schleppst du uns schon Kinder an, Tony?«, sagte Baylis. Er gestattete sich eine minimale Mundbewegung, die schon fast als Lächeln durchging.
    Napier reckte einen Finger, um ihn zum Schweigen zu bringen. Offensichtlich hatten sie die Diskussion schon durch.
    »Er hat das Zeug dazu«, sprang Tony mir zur Seite. »Er kann auf sich selbst aufpassen. Außerdem schicken wir ihn ja nicht raus in die Wildnis, oder?«
    Ich fand, dass es an der Zeit war, auch mal etwas zum Gespräch beizutragen.
    »Wohin
wollt
ihr mich denn genau schicken?«, fragte ich.
    »Jetzt mal nichts überstürzen«, sagte Napier. »Bevor du überhaupt irgendetwas tust, musst du dir erst mal das hier anschauen.« Er schob mir ein Formular über den Tisch zu. Ein Blick auf den Briefkopf verriet mir, dass es etwas mitStaatsgeheimnissen zu tun hatte. »Hier brauche ich deine Unterschrift. Und dann musst du dich mit dem hier vertraut machen.«
    Er reichte mir einen braunen Umschlag, den ich auf dem Tisch ausleerte. Da gab es einen Pass und noch ein paar Ausweise: eine Kreditkarte, einen Führerschein, eine Mitgliedskarte für einen Fitnessclub.
    Alle trugen mein Foto und einen fremden Namen. Eddie Savage.
    »So hieß mein Opa«, sagte ich. »Der

Weitere Kostenlose Bücher