Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
je zuvor von dem jungen Mann beeindruckt, der sie gerettet hatte. Er trat auf, als hätte er schon sein ganzes Leben lang mit reichen Kaufleuten und hochnäsigen Bürokraten verhandelt. Er benahm sich niemals fordernd oder arrogant, er begegnete den Regierungsfunktionären allerdings auch nicht unterwürfig. Er war zu jeder Zeit höflich, sogar bescheiden. Er konnte allerdings auch in Dingen, die ihm wichtig waren, hart bleiben.
All das tat er unter Wahrung seiner Anonymität, ein Trick für den er zehn Jahre gebraucht hatte. Seine zunehmende Körpergröße erschwerte es ihm etwas, im Hintergrund zu bleiben und nicht aufzufallen. Er hatte auch schon in Erwägung gezogen, sich die auffälligen roten Haare zu färben, obgleich die auf Gorisa zur Zeit modernen elektrischen Leuchtfarben das einstweilen als unnötig erscheinen ließen.
Clarity glaubte ihn allmählich zu verstehen: wie sein Geist arbeitete, warum er sich so eigentümlich in der Öffentlichkeit verhielt, was er wirklich wollte. Sein Alter und seine jugendliche Erscheinung führten dazu, daß andere ihn häufig unterschätzten, und sie war nach und nach davon überzeugt, daß ihm das sogar ganz recht war. Sie wußte, daß hinter diesen arglosen grünen Augen ein Geist von enormer Kraft und mit einzigartigen Fähigkeiten arbeitete.
Fr hatte ihr von seiner schwierigen Kindheit erzählt. Was steckte außerdem noch in seiner Persönlichkeit? Oder war er am Ende nicht mehr als ein ungewöhnlich intelligenter, angenehmer junger Mann mit einer ganz besonderen Begabung?
Von einer Sache war sie völlig überzeugt, trotz allem, was Vandervort oder sonst jemand dazu bemerken mochte: In diesem Körper befand sich nicht die geringste Spur von Bosheit. Wenn er sich manchmal vor sich selbst fürchtete, was war dann natürlicher, als daß sie oder andere Freunde diese Furcht teilten?
Sie beobachtete, wie er geduldig mithalf, die Schwer verwundeten zu behandeln und zu trösten. Je länger er alleingelassen wurde, desto mehr Aufmerksamkeit schenkte er anderen. Fast schien es, als hätte er Angst, daß man ihn für mitfühlend halten könnte. Clarity war sicher, daß Amees Verdacht völlig unbegründet war, daß ihre Warnungen völlig ins Leere liefen. Es gab viele Gründe, diesen jungen Mann zu mögen und sogar zu bemitleiden, aber keinen Grund, Angst vor ihm zu haben.
Vandervort hatte sich endlich den verletzten Arm richtig behandeln lassen. Sie und andere führende Persönlichkeiten des Außenpostens erzählten ihre Erlebnisse den Behörden, die daraufhin mit Thalia Major Kontakt aufnahmen. Ein Kreuzer mit Friedenstruppen wurde nach Long Tunnel beordert, um bei den Aufräumungsarbeiten und der Suche nach den Attentätern mitzuhelfen. Es war eher eine teure Geste als ein praktischer oder notwendiger Schritt, aber teure Gesten waren wichtig für das Überleben einer jeden Regierung. Daher brachte der Kreuzer eine ganze Einheit Marinesoldaten, obgleich auf Long Tunnel niemand mehr übrig war, der hätte kämpfen können oder wollen.
Coldstripes Geldgeber wurden benachrichtigt. Sie waren nicht so aufgeregt und verärgert, wie Clarity es erwartet hatte, aber dafür lagen ihre eigenen Kenntnisse auch mehr im technischen Bereich als im Bereich der Finanzen. Versicherungen deckten den größten Teil des Schadens ab. Was nicht ersetzt werden konnte, war der Verlust an wichtigem Personal. Alle waren überaus erleichtert, als sie erfuhren, daß Vandervort, Held, Jase und der größte Teil des Forschungsstabes überlebt hatten.
»Sie schätzen uns sehr, meine Liebe«, erzählte Vandervort ihr per TriDi. »Es gibt Gefahrenzulage und für jeden einen beträchtlichen Bonus. Wir werden wohl einige Leute verlieren, aber ich glaube, daß die meisten wieder in ihre Stellungen zurückkehren und die Arbeit aufnehmen werden. Und wie steht es mit dir?«
»Ich habe nicht die Absicht, aufzuhören, Amee. Ich möchte so bald wie möglich nach Long Tunnel, sowohl um meine frühere Arbeit fortzusetzen als auch um beim Wiederaufbau mitzuhelfen.«
Vandervort lächelte sie vom Bildschirm an. »Ich dachte mir, daß du die Möglichkeiten wahrnimmst, die sich bieten, aber ich war mir nicht ganz sicher. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich über deine Entscheidung bin. Du wirst einmal eine sehr reiche und berühmte junge Frau sein.« Sie blickte auf etwas, das sich außerhalb des Aufnahmebereichs befand.
»Ich möchte dir mal unsere vorläufige Verwaltungszentrale zeigen. Ich werde von
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