Lord Gamma
seien, hätte mir ein Licht aufgehen sollen. Statt, wo ist dein Instinkt geblieben? Hat ihn dir das Sublime aus dem Hirn gelutscht? Daraus abzuleiten sind die Fragen zwei bis sieben: Warst du jemals im Sublime? Gibt es ein Sublime? Gab es eine Entführung? Wer bin ich? Was bin ich? Auf Kehle dressiert? Hallo, Paranoia, lang nicht mehr gesehen …!
Ich Dummkopf, das Licht war aufgegangen! In jeder Barriere, in der ein Prill-Klon verglüht war, hatte es gestrahlt. Ich hatte es gesehen. Es war mein Licht, meine Schöpfung des vermeintlich Unvermeidbaren. Es hatte nicht daran gelegen, daß ich ein Original und sämtliche Prills nur Klone gewesen waren – das Kraftfeld, das mich umgab, hatte verhindert, daß ich in den Zonenbarrieren ebenfalls verglüht war. Es mußte mich während der gesamten Zeit, die ich in der Bunkerebene verbracht hatte, geschützt haben. Ich hätte es wissen müssen. Ein Mensch bestand nicht in den Welten der Lords. Dieser verdammte Hurensohn …!
»Willst du dort Wurzeln schlagen?« rief Gamma.
Ich ging auf ihn zu, bedächtig, geradezu provozierend langsam. Pfiff auf die Assembler, von denen mir Gamma weismachen wollte, sie säßen uns im Nacken. »Ich will die Wahrheit hören!« knurrte ich. »Hier und jetzt!«
»Die Wahrheit? Glaubst du denn, du könntest sie verkraften?« fragte er.
»Glaubst du nicht, ich wäre nach allem, was ich durchgemacht habe, bereit dafür?«
»Nein.«
Ich zog den Strahler, richtete ihn auf Prills Körper. Der Stummfilm um uns herum lief weiter. Die umherschlendernden Quasi-Menschen zollten uns keinerlei Beachtung. Falls ich gehofft hatte, Gammas Miene würde sich angesichts der Waffe ebenfalls verdunkeln wie die Nikobals, sah ich mich enttäuscht. Er verlor nichts von seiner Selbstsicherheit. »Ich hatte erwartet, daß du so reagieren würdest«, sagte er. »Ist ja nur ein Klon, habe ich recht? Einer mehr oder weniger … Gibt dir der Brunnen kein Wasser, bedrohst du ihn. Weigert er sich dennoch, erschießt du ihn. Aber womit löschst du deinen Durst?« Er trat näher. »Schieß!« forderte er mich auf. »Na, komm schon, Stan. Bei den anderen Prills hast du doch auch nicht gezögert. Gib’s mir! Zeig mir, wo’s langgeht! Schieß!«
Der Impuls explodierte in meinem Kopf. Meine gesamte Umgebung hatte sich auf Prills Augen reduziert, hinter denen Gammas Wille lauerte. Ich hatte nicht die mindeste Chance, mich ihm zu widersetzen. Dieses Augenpaar zwang mich, die Waffe auszulösen. Vergebens stemmte ich mich gegen den Blick. Meine Finger umkrampften den Griff des Strahlers, meine Hand zitterte vor Anstrengung, der Schmerz in meinen Muskeln trieb mir Tränen in die Augen. Der Impuls dauerte an, war wie ein Stromstoß, der mich durchfloß. Erst als Gamma mir die Waffe aus der Hand nahm, ließen der Schmerz und der Krampf nach. Gamma warf den Strahler in die Luft. Was davonflog, war eine weiße Taube. Konzentrierte ich mich auf ihren Kopf, verblaßte ihr Schwanzgefieder. Sah ich auf ihren Schwanz, trug sie keinen Kopf …
Naos 9
ATMEN! ATMEN! ATMEN!
Jesus, das habe ich nicht gewollt! Ich schwöre es, das habe ich nicht gewollt! Ich fühle, wie mir der Sauerstoff durch die Poren gezogen wird, spüre den Druck in meinen Augen und meinen hämmernden Herzschlag, wundere mich, daß ich überhaupt noch am Leben bin. Meine Ohren rauschen und zischen, es klingt, als trete die Luft auch durch die Gehörgänge aus. Schaumiges Blut, das aus meiner Nase strömt, hat die Sauerstoffmaske verschmiert. Ich fühle, wie sich mein Magen aufbläht, meine Lungen, mein Darm, unterdrücke den Wunsch, mich zu übergeben. Kaum zu glauben, daß die Kabinenfenster einem solchen Unterdruck überhaupt standgehalten haben. Der verheerende Sog hat zwar nachgelassen, dafür dringt klirrende Kälte in die Kabine. Ihre Temperatur liegt weit – weit – unter dem Gefrierpunkt. Sechzig Grad unter Null, vielleicht achtzig. Es ist eine Schätzung, ich habe keine Erfahrung mit Kälte. Nicht mit dieser Kälte. Meine nackten Zehen sind ohne Gefühl. Tief einatmen, versuchen, die Luft anzuhalten, fünf Schritte weit zu laufen und die Kabinentür wieder zu schließen … Aber der Schwindel wird mich stolpern und durch die offenstehenden Tür stürzen lassen. Ich schnappe so viel Luft, wie meine rebellierenden Lungen zu fassen vermögen. Nein, nein! hämmert es in mir, meine Hände werden am Kunststoff festfrieren, bevor ich Piep sagen kann, und ich werde mir das Fleisch von den Fingern reißen
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