Lord Gamma
Chance, zu reagieren, und ich ebensowenig. Klammerte mich an die Rückenlehne und den Sicherheitsgurt eines Sitzes, während es mir die Beine durch den Sog vom Boden riß. Hing fast eine Minute lang waagerecht im Raum, während über allen Sitzen die Sauerstoffmasken herunterfielen und der Orkan durch die Kabine tobte.
Wie hoch in der Atmosphäre mögen wir uns befinden, um dieses Klima zu erklären? Jedenfalls nicht hoch genug, um die Finsternis vor der Tür zu rechtfertigen. Die Erde müßte riesengroß zu sehen sein, blau-weiß strahlend. Vielleicht würde man gerade mal ihre Krümmung erkennen, aber keinen Weltraum. Der Luftdruck ist enorm gering, aber es ist kein Vakuum! Und es ist auch nicht kalt genug dafür. Ich hätte bereits schockgefrostet werden müssen, während ich mich an die Sitze gekrallt hatte.
Zurück an die Sauerstoffmaske, durchatmen, tief, hastig. Welch ein Wahnsinn. Bin nun tatsächlich der erste Mensch im Weltraum ohne Raumanzug. Was heißt ohne Anzug? Barfuß, mit blau gefrorenen Zehen! Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen, rasenden Durst. Aber sämtliche Getränke müssen längst zu Eis gefroren sein. Wände, Boden, Sitze und Menschen, alles ist von Rauhreif bedeckt. Winzige Schneeflocken schweben durch die Kabine, glitzern im Neonlicht, und es wird immer kälter. Für wie lange habe ich Sauerstoff? Was soll ich gegen die Kälte unternehmen? Hoch ins Oberdeck? Mich in einem der Bäder einsperren? Warm duschen? Endet es so, wie es begonnen hat? Wo steckt dieser Zwergenarsch mit seinem Koffer, wenn man ihn mal braucht?
Muß irgendwie diese Tür zukriegen. Nachdem ich zwei der Sauerstoffmasken abgerissen habe, versuche ich, sie damit zuzuschieben, aber die Hydraulikflüssigkeit ist scheinbar gefroren. Die Tür läßt sich nicht ganz schließen. Die Aktion kostet mich unter diesen Bedingungen unwahrscheinlich viel Kraft. Aber selbst, wenn die Tür zugeht, wird die Kälte bleiben, und der Unterdruck ebenfalls. Und woher bekomme ich Sauerstoff, wenn die Masken aufhören zu spenden? Ich werde hier verrecken!
Und damit meine ich: verrecken!
Kraftlos breche ich meine Bemühungen ab, stürze zurück zu den Atemmasken, und die Tür gleitet langsam, aber sicher (wie es sich für einen Notausstieg gehört) wieder auf. Ob die Passagiere etwas vom Wetterumschwung mitbekommen?
Was zum Kuckuck …?
Licht! Ein Lichtstrahl!
Ich blinzele. Meine Augenlider sind eiskalt. Ich gehe zur offenen Tür, blicke hinaus. Zum ersten Mal erkenne ich Dimensionen. Die Atmosphäre ist so klar wie der interstellare Raum, wirkt wie eine Lupe. Es ist nicht die Einbildung eines Erfrierenden, Verblutenden, Erstickenden. Ein steil von oben herabfallender Lichtkegel hat einen winzigen, starren, grüngekleideten Körper erfaßt, der sich Hunderte von Metern vom Flugzeug entfernt hat. Er trudelt schräg hinab in die Tiefe. Arme Seetha. Aber sie hätte längst nicht mehr zu sehen sein dürfen! Warum fällt sie so langsam? Und warum noch immer diagonal vom Flugzeug weg? Ein zweiter Lichtfinger zuckt auf, diesmal jedoch von unten, wie der Suchscheinwerfer einer Flak-Stellung.
Was ist das? War da nicht eben ein Schatten im Gegenlicht, ganz in Seethas Nähe? Die Perspektive ist ungewöhnlich, aber die Silhouette … wenn mich der Sauerstoffmangel nicht genarrt hat, habe ich dort unten im Gegenlicht des Strahls für einen Augenblick einen riesigen Schatten erkannt. Keine Farben, aber deutliche Formen. Ich könnte schwören, es war …
Luft, Luft!
Bin fast umgekippt, starr vor Kälte. Die Augenlider frieren mir beim Blinzeln fest, die Härchen in meiner Nase sind eisige Nadeln. Ich laufe wieder zur Tür, sehe hinunter und direkt ins Licht. Geblendet schließe ich für einen Moment die Augen. Das Licht läßt einen dunklen Widerschein auf meiner Retina zurück. Der Strahl zeigt hinauf zu mir, genau auf die offenstehende Tür.
Jetzt haben sie dich entdeckt, Ternasky! Zu spät, fürchte ich. Konnte ja nicht ahnen, daß man erst unschuldige Frauen aus dem Flugzeug werfen muß, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Da kommt etwas herauf! Ja, ich sehe es ganz deutlich, etwas nähert sich, schwebt empor. Ein riesiges Ding, schwärzer als der Raum, der uns umgibt. Mit einem halben Dutzend Scheinwerfern hat es mich erfaßt. Diese winzigen Lichter überall. Sind das Fenster? Ist das eine Plattform? Oder …
Heilige Scheiße – was ist das denn …?!
Alphard 13
»MEIN NAME IST HIPPARCH von Nikaia, Astronom und Geograph der
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