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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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allem Respekt, Sir«, fügt er hinzu. »Ihr solltet Euch wirklich beeilen!«
    Sie nimmt ihm den riesigen Schlüssel ab, wiegt ihn prüfend in den Händen. Er wirkt wie aus rotem Zuckerguß gefertigt, besteht aus einem transparenten, kunststoffartigen Material, das nicht recht zur altmodischen Erscheinung des Kapitäns und des Schiffes passen will. Der Schlüsselbart ist so groß wie zwei Handflächen, sein Stock so dick wie ihr Unterarm. Der Schlüsselkopf besitzt den Umfang einer Diskusscheibe.
    »Sir …!« drängt Smollett mit einem Blick über den Pier. Die ersten Echsenköpfe haben den Fuß der Düne erreicht. Im Nu watschelt eine ganze Hundertschaft zügig über den Steindamm heran.
    Sie schiebt den Schlüssel ins Schlüsselloch, dreht ihn mit einem kräftigen Ruck nach rechts. Eine massive Tür löst sich aus der Schiffswand, schwingt knarrend auf. Dahinter führt ein steiler Niedergang schräg durch den Rumpf nach oben. Der Schlüssel löst sich auf und verschwindet, ehe sie ihn abziehen kann. Als er verblaßt ist, setzen die echsenköpfigen Kreaturen zum Spurt über den Pier an.
    Smollett schlägt ein Kreuzzeichen, schlüpft durch den Eingang, hastet hinauf an Deck. Sie folgt ihm unverzüglich, zieht die schwere Tür hinter sich zu. Die Pforte schließt fugenlos, wird eins mit den Planken. Von der Außenseite ertönt lautes Klopfen, Kratzen und Schaben.
    »An Deck, an Deck!« ruft Smollett zu ihr herab. »Diese Malefitzkerle nagen sich sonst durch den Rumpf!«
    Sie weicht zurück, hastet die Stiege empor, schlägt die Luke hinter sich zu und verriegelt sie. »Sind alle an Bord?«
    »Das Schiff ist vollständig anwesend, Sir!«
    »Dann los, ehe sie uns entern!« Sie blickt hinauf in die Takelage. »O, Smollett … du hast vergessen, die Segel zu setzen!«
    Der Kapitän wirft seinen Kopf in den Nacken. »Die Segel, die Segel!« ruft er aufgeregt, läuft mit erhobenen Armen über das Deck. Die Gordings lösen sich wie von Geisterhand, die Groß-, Bram- und Focksegel fallen herab.
    »Wind! Wind!« ruft Smollett, und zu ihr gewandt: »Haltet Euch fest, Sir!« Eine kräftige Böe schlägt von achtern über das Schiff, wird zum Sturm, der wild in die Segel greift und den Schoner mit einem kräftigen Ruck vom Pier treibt. Der Kiel des Schiffes beginnt durch das Meer zu pflügen, läßt Gischtfontänen über den Spriet schlagen.
    »Prächtig, prächtig!« befindet Smollett zufrieden.
    Sie klammert sich an die Reling, blickt zurück zur Insel. Auf dem Pier und dem umliegenden Strand stehen dichtgedrängt die krokodilschnäuzigen Geschöpfe, lassen ihre Kiefer schnappen und starren dem Schiff mit ausdruckslosen Augen hinterher.
    »Ein Bilderbuchmanöver«, lobt sie.
    »Fürwahr.« Smollett tätschelt stolz die Reling. »Die Hispaniola ist ein feines Schiff.« Er reckt seine Nase in die Höhe. »Die Brise kommt uns vortrefflich zustatten. Das ist ein strammer Südwest, der uns treibt. Mit ihm im Rücken werden wir die hundertarmige Insel eingeholt haben« – er zieht ein Stundenglas aus seiner Rocktasche und plaziert es am Rand des Achterdecks – »ehe der Sand verronnen ist!«
     
    Sie steht auf der Leeseite des Logis, wo das vom Wind geblähte Großsegel das Steuer ihren Blicken entzieht. Der Schoner schneidet zügig durch die See, Gischt spritzt dann und wann über das Vorschiff. Die feuchten Planken glänzen im Sonnenlicht wie dunkler Bernstein.
    »Dort«, ruft Smollett vom Achterdeck. »Ha! Dort ist sie!« Er setzt das Fernrohr ab, deutet voraus zum Horizont, wo sich nun auch für das bloße Auge erkennbar eine winzige Silhouette abzeichnet. »Jetzt haben wir sie!« Er eilt zu ihr, reicht ihr das Teleskop.
    Ein paar Sekunden muß sie die Linse am Horizont entlangwandern lassen, ehe auch sie das gesuchte Objekt einfängt. »Die hundertarmige Insel …«, murmelt sie.
    »Aye!« bekräftigt Smollett. »Mit uns hat sie heut’ nicht gerechnet.«
    Aus der Ferne wirkt das Eiland wie eine gewaltige Hochseebaustelle. Sie erkennt eine quadratische Plattform, an deren Rändern Hunderte von schlanken, sich unablässig auf und nieder bewegenden Baukränen emporzuragen scheinen. Nachdem die Hispaniola weitere fünf Seemeilen aufgeholt hat, erinnert die Insel zunehmend an einen flüchtenden, hundertbeinigen Wasserläufer mit einer Länge von nahezu einem Kilometer. Seine Beine pflügen wellenartig durch die aufgewühlte See wie die Ruder einer apokalyptischen Galeere.
    »Sie ist tatsächlich aus Metall«, staunt sie, »und

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