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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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sieht aus wie ein riesiger Mikrochip …«
    »Durch und durch reinstes Cirillium«, bestätigt Smollett grimmig. »Das gewaltigste Prozessor-Ungeheuer der sieben Weltmeere. Sechzig Millionen Transistoren, achtundzwanzig Quadrillionen Rechengänge in der Sekunde. Schaut Euch nur diese bioneuralen Fangarme an: jeder fast sechshundert Fuß lang und so dick wie ein ausgewachsener Ahorn. Und doch reichen keine hundert von ihnen, um uns zu entkommen. Nicht heute!«
    Sie setzt das Fernrohr ab, schiebt es zusammen und klopft damit nachdenklich in ihre linke Handfäche. »Da bin ich wirklich gespannt, Smollett. Was für eine Taktik schlägst du vor?«
    »Wir schneiden ihr den Kurs ab und kreisen sie ein!«
    »Mit einem Schiff?«
    Der Kapitän überlegt. »Ihr habt recht, Sir«, pflichtet er bei. »Dann schlage ich vor, wir jagen sie und treiben sie in die Enge!«
    »Auf hoher See?«
    »Wir könnten sie rammen …«
    »Vorher drischt sie das Schiff mit ihren Fangarmen in tausend Stücke.«
    »Dann … sollten wir uns von unten an sie heranschleichen!«
    Sie schüttelt den Kopf. »Mein lieber Smollett, die Hispaniola ist kein Unterseeboot.«
    Der siegessichere Ausdruck weicht aus dem Gesicht des Kapitäns. »Ihr habt mal wieder recht, Sir«, stimmt er betrübt zu. Dann, entschlossener: »Also, glaube ich, ist es Zeit für die Kanone!« Wieder greift er in seine Rocktasche, fördert kurz darauf das gesuchte Objekt zutage, hält es stolz vor sich. »Der gelbe Schlüssel, Sir!« verkündet er.
    Sie nimmt ihn aus Smolletts Hand. Er ist nicht viel schwerer als sein rotes Gegenstück, besteht aus dem gleichen durchscheinenden Material. Smollett deutet auf eine hüfthohe Luke im Achterdeck. Mit dem Schlüssel im Anschlag läuft sie hinüber und öffnet den Verschlag. In dem dahinterliegenden Gang herrscht düsteres Zwielicht. An seinem Ende erkennt sie schemenhaft eine hüfthohe, plumpe Form.
    Smollett reibt sich in gespannter Vorfreude die Hände. Er bückt sich, läuft einen Schritt in den Raum hinein und ruft: »Komm, meine Kleine, es gibt Arbeit!« Dann pfeift er wie nach einem Hund, schnalzt ein paarmal mit der Zunge. Aus dem Hintergrund ertönt ein Hecheln, gefolgt von einem widerwilligen Winseln. »Hopp, hopp, raus mit dir, du faules Stück!« ruft Smollett unwirsch, klopft ermunternd auf seine Schenkel.
    Das massige Etwas am Ende des Ganges beginnt sich zu bewegen, kommt – träge hin und her schaukelnd – heran. Aus der Dunkelheit schält sich ein wunderliches, gedrungenes Wesen. Es bewegt sich schwerfällig wie eine Schildkröte und besitzt die Gestalt eines platten Nilpferdes. Sein Rückgrat bildet den Ansatz für ein eisernes Kanonenrohr, das wie ein erhobener Rüssel aus seinem Kopf ragt. Rechts und links davon rollt jeweils neugierig ein großes, rundes Auge. Unter dem Kanonenrohr sabbert ein rosafarbenes Maul mit klobiger Zunge und stumpfen Mahlzähnen. Am Hinterteil des Kanonentiers wackelt hektisch ein Ringelschwanz. Aus seinem Verschlag entlassen, beginnt das Wesen, Smolletts Schuhe blankzulecken.
    »Eine feine Kanone«, versichert der Kapitän fröhlich und entfernt sich einen Schritt von dem liebkosenden Maul. »Vielleicht ein wenig zu zutraulich.« Er dirigiert das Geschütz nach Backbord bis kurz vor die Reling, verkündet: »Und jetzt Pulver und Eisen!« Aus dem Verschlag schleppt er eine kleine, aber offensichtlich schwere Kiste, die er neben der Kanone abstellt. Dann verschwindet er erneut und kehrt mit einer Laderamme, einem Zehn-Pfund-Faß, einem Pulvermaß und einem Trichter zurück.
    »Hopp, Platz«, befiehlt er. Die Kanone läßt sich auf ihr Hinterteil plumpsen und reckt ihren gußeisernen Rüssel in die Höhe. Ihr Schwanz tätschelt aufgeregt die Planken. Der Kapitän öffnet das Faß, füllt drei Maß voll eines hellbraunen Pulvers in die Rohrnase des Kanonentiers und stopft kräftig mit der Ramme nach.
    »Das Schießpulver sieht verdorben aus«, bemerkt sie.
    »Gott bewahre, ich will sie ja nicht umbringen«, entfährt es Smollett. Und mit Nachdruck erklärt er: »In diesem Fäßchen hier ist bestes Niespulver aus Bristol.« Er klopft seine Hände ab und öffnet die Kiste. In ihr liegt in Stroh gebettet ein einzelnes großes Geschoß. »Euch gebührt die Ehre der Kugel, Sir«, sagt Smollett würdevoll. Dabei betont er die Worte, als sei der Eisenklumpen das wertvollste und schicksalsträchtigste Geschoß der Welt. Und das einzige.
    Sie hebt die Kugel aus der Kiste, verfolgt von den Augen der Kanone.

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