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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Ihrem sabbernden Spitzmaul entfährt ein ungeduldiges Jaulen. Als sie die Kugel ins Rohr rollen läßt, schüttelt sich die Kanone wonnevoll.
    »Sobald wir nah genug dran sind, drehen wir bei und feuern!« Smollett hat seinen Blick auf die Insel gerichtet und wirkt tatendurstig. Das Laden der Kanone hat ihn zum Stopfen seiner Pfeife animiert. Sie folgt seinem Blick. Kaum mehr eine halbe Seemeile hinter dem Eiland pflügt die Hispaniola durch dessen wogendes Kielwasser. Seine hundert Arme quirlen das Meerwasser schaumig, die aufgewühlte See tost wie zwanzig Wasserfälle. Ein feiner Gischtschleier hüllt das Schiff ein.
    Smollett zieht eine ellenlange Lunte aus seiner Rocktasche, dreht sie in der Hand, bis er sich für ein Ende entschieden hat, und setzt sie in das Zündloch ein. Dann steckt er sie mit dem glimmenden Tabak in seiner Pfeife an. Gemächlich zischend brennt sie wie eine Wunderkerze herunter.
    »Die Kanone zittert ja.«
    »Och«, macht Smollett, »das liegt nur an der Lunte. Ihr solltet besser zwei Schritte zurücktreten, Sir. Sie niest ziemlich laut.«
    Als die Zündschnur zu zwei Dritteln abgebrannt ist, hält Smollett seine Hände trichterförmig vor den Mund und brüllt gegen das Tosen der Insel an: »Jetzt luv’ all, was geht!«
    Ein Ruck geht durch das Schiff. Sie sucht Halt, klammert sich an die Wanten. Der gesamte Rumpf ächzt unter dem Manöver. Die Hispaniola dreht sich und legt sich dabei auf die Seite, richtet sich nach einer Vierteldrehung schwerfällig und mit krachenden Rahen wieder auf. Im selben Augenblick entlädt sich die Kanone, schleudert ihr Geschoß weit über die Metallklippe der Insel. Das Wesen rutscht trotz seiner enormen Masse drei Meter rückwärts über die Planken und bleibt mittschiffs auf dem Hinterteil sitzen. Vom Eiland her schallt der Donner einer Explosion über die Klippe, ein Rauchpilz steigt steil in die Höhe, verweht langsam im Wind.
    »Beim Donner, ein feiner Treffer!« ruft Smollett aus.
    Die Arme der Insel erlahmen in ihren Bewegungen, sinken allesamt schlaff ins Meer, während die riesige Metallplattform an Fahrt verliert und sich dabei langsam um sich selbst zu drehen beginnt. Mit der Hispaniola im Windschatten treibt sie noch über zwei Seemeilen weiter.
    »Nun?« fragt Smollett.
    »Bring das Schiff längsseits, so nah du kannst«, weist sie den Kapitän an, als das Eiland still liegt. »Dann hol die Segel ein und laß Anker werfen!«
    »Aye, Sir!«
    »Und gib der Kanone eine Sonderration von irgendwas.« Sie überlegt, zuckt die Schultern. »Von was auch immer.«
    Die Kanone gibt ein zufriedenes Bellen von sich, tapst zurück in ihr finsteres Quartier.
    »Das mögen gut und gern achtzig Fuß sein«, schätzt Smollett, als sie neben der Insel liegen. Er zieht sich die Perücke vom Kopf, kratzt sich seinen von Stoppelhaar bedeckten Schädel und sieht an der senkrechten Klippe hinauf. »Zu viel, um über die Masten zu landen, und zu hoch für den Gien.« Er deutet auf einen Flaschenzug neben dem Klüver.
    »Dann laß das Gig zu Wasser«, antwortet sie. »Ich rudere hinüber.«
    »Und?« Der Kapitän wird eine Spur bleicher.
    »Und klettere natürlich hinauf.«
    »Aber das sind gut und gern achtzig Fuß!«
    »Du wiederholst dich, mein lieber Smollett.« Sie sieht zur Klippe. »Die Steilwand ist tief gekerbt, genug für sicheren Halt und Tritt.« Sie neigt den Kopf. Ein fernes Rauschen untermalt das Quietschen des Davits. »Sag, hörst du das auch?« fragt sie schließlich, als das Beiboot im Wasser schwimmt.
    Smollett hält mit dem Abwerfen der Strickleiter inne, lauscht. »Das kommt von der Insel«, stellt er fest, hält ihre Hand, als sie die ersten Sprossen hinabsteigt. »Klingt, als habe die Kugel ein feines Leck geschlagen. – Ach, Sir …«
    »Ja, Smollett?«
    »Ihr habt etwas vergessen.« Der Kapitän zieht eine vertraute Form aus seinem Rock, reicht sie ihr hinunter. »Den blauen Schlüssel, Sir!«
     
    Das Metall unter ihr ist rauh und körperwarm. Entkräftet vom Aufstieg, legt sie sich nieder, ruht sich lange aus. Das Rauschen hat an Intensität gewonnen, doch erschöpft wie sie ist, hat sie kein Auge für seinen Ursprung. Mit geschlossenen Augen und hämmerndem Herzen entspannt sie ihre zitternden Muskeln, das Kliff nur eine Armspanne von sich entfernt.
    »Alles klar dort oben?« hört sie Smollett rufen.
    Sie zieht den Schlüssel aus dem Kleid, wo sie ihn verstaut hat, um beide Hände zum Klettern freizuhaben, reckt ihn empor, so daß der

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