Lord Gamma
neben uns auf, streckte eine Hand aus, legte sie auf Seethas Schulter. Ich wollte sie fortschlagen (ein lächerlicher Beschützerinstinkt in Anbetracht der Größenverhältnisse) doch Seetha hielt mich davon ab. Sie erhob sich, wobei sie die Hilfe des Wesens annahm.
Ich war sprachlos. Sie, die noch im Flugzeug vor meinem nabellosen Bauch die Flucht ergriffen hatte, ließ sich von dieser Monsterpranke auf die Füße helfen!
»Du bist nicht Seetha!« krächzte ich. Es klang, als würde ich mit künstlichem Kehlkopf sprechen.
»Doch, Stan, ich bin es.«
Ich sah sie zweifelnd an. »Was ist mit deinen Augen passiert? Deine Pupillen sind so klein …«
Seetha warf einen kurzen Blick auf den Enoe. »Sie haben mir ein Beruhigungsmittel verabreicht, glaube ich«, erklärte sie dann. »Mein Weltbild liegt so ziemlich in Trümmern. Wahrscheinlich werde ich fünfzig Jahre lang Alpträume haben, wenn das alles vorbei ist.«
Der Enoe neben Seetha machte eine Geste, mit der er mir bedeutete, vom Körper des Lords zurückzuweichen. Gamma und seine Artgenossen standen still wie Statuen und beobachteten. Der Lord hatte sein Gejammer eingestellt. Als ich aufstand und mich mit Seetha ein paar Meter entfernte, hob sich der Boden unter ihm. So, wie die grätenförmige Antennenkonstruktion darin versunken war, wuchs nun ein altarartiger Quader bis auf Hüfthöhe empor. Am oberen Ende formte sich ein Gebilde, das einer Trockenhaube ähnelte und sich über den Kopf des Lords stülpte. Scheinbar bezogen die Enoe alles, was sie an technischen Hilfsmitteln benötigten, aus diesem Boden.
»Unter so einem Ding bin ich vorhin auch aufgewacht«, erklärte Seetha. Der Vorwurf in ihrer Stimme war unüberhörbar.
»Es – war nicht meine Absicht«, murmelte ich.
Seetha schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, du Neunmalklug, nur deine Überheblichkeit.« Sie äffte mich nach: »Da draußen ist kein Vakuum …« Dann sah sie zu Boden: »Es war ein Scheißgefühl, in dieses Nichts zu fallen, Stan. Wirklich ein Scheißgefühl. So hatte ich mir das Ende nicht vorgestellt.«
Ich atmete tief durch, suchte eine Ablenkung. Schuldbekenntnisse sind nicht meine Stärke. Aufmerksam studierte ich meine Umgebung, und was ich sah, trug keinesfalls zu meinem Wohlbefinden bei. Die vermeintliche Ebene war in Wirklichkeit ein weiter, kreisrunder Platz von wenigstens fünfhundert Metern Durchmesser. Ihn umfaßten gut zwei Dutzend mächtige, etwa vierzig Meter hohe Gebäude, die einander wie ein Ei dem anderen glichen. Die Gebäudefronten ähnelten nach vorn geneigten Trapezen, die sich zur Decke hin verjüngten. Nach hinten wurden die Bauten breiter, bis sie sich schließlich berührten, wodurch sie dem Platz einen sternförmigen Grundriß verliehen. In ihrer Gesamtheit bildeten sie das Fundament für eine Kuppel, die alles überspannte. Sie erhob sich zu mehr als sechzig Metern Höhe, um sich im Zentrum des Platzes als mächtige Spindelsäule wieder mit dem Boden zu vereinen. Ich kam mir vor wie im Inneren eines kolossalen Donuts. Wie der Platz und die Gebäude, so war auch das Kuppeldach sienafarben, aber zusätzlich mit Lichtbahnen durchzogen, die die Halle mit angenehmer Helligkeit erfüllten. Direkt unter uns war der Boden hingegen von tiefroter Farbe. Das Rot markierte eine kreisrunde Fläche von etwa acht Metern Durchmesser, die gegenüber dem Hallenboden um einige Zentimeter erhöht lag und von jenem unsichtbaren Kraftfeld umgeben war. Ich konnte ein halbes Dutzend weitere dieser Kreise in der Ferne erkennen, doch niemand hielt sich darin auf. Aus allen Richtungen strebten mondköpfige Riesen auf uns zu. Sie sammelten sich um uns herum, doch keiner von ihnen betrat die Plattform. Auf ihr befanden sich nur Gamma, drei weitere Enoe, der Lord, Seetha und ich. Eine illustre kleine Runde.
»Was geht hier vor?« flüsterte ich Seetha zu, als die Haube über dem Kopf des Lords zu leuchten begann.
»Scheinbar versuchen sie, seinen Inkarnationsschock zu lindern«, antwortete sie leise. »Das Sublime hat elf seiner Paragone vereint. Er muß fürchterlich leiden.«
»Das hoffe ich doch«, knirschte ich. »Man könnte fast glauben, er tue dir leid.« Dann sah ich sie verwundert an. »Woher weißt du von den Paragonen?«
»Wir hielten es für sinnvoll, die Frau auf das vorzubereiten, was sie erwartet, sobald sie die Augen aufschlägt«, erklärte Gamma, der neben uns getreten war. »Mittels einer künstlichen Erinnerung, die ein Gefühl der Vertrautheit
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