Lord Schmetterhemd im wilden Westen
Unterlippe zitterte. »Gott steh’ ihnen und er stehe uns bei...«,
murmelte er. Ich nickte nur. Vielleicht war Gott gerade in diesem Augenblick
weiter von meinen Vorfahren entfernt als jemals, vielleicht befanden sie sich
geradewegs in der Gesellschaft, in der Umschlingung des Teufels?
Doch
dann verflog der Spuk. Aus weiter Ferne hörten wir die Turmuhr von Seabridge
die Eins schlagen, später bimmelte auch meine Standuhr in der Halle. Der Mond
strahlte wieder wie zuvor durch den Nebel, die Wolken rissen auf, und er konnte
seine volle Scheibe zeigen. Bald darauf ertönte das erregte Traben meiner
Stute, hörten wir die Wagenräder rollen. Cookie und ich stürzten in den Hof.
Die Kutsche kam.
Ich
vermag es nicht zu erklären: Ohne daß etwas Besonderes an meinen Vorfahren in
Tiergestalt zu sehen gewesen wäre, machten sie einen erschöpften Eindruck.
Vielleicht lag es nur an ihrer schlaffen Haltung. Möglich auch, daß Onkel Rabs
Strohhut über die Ohren gerutscht war, daß die Kaninchenlöffel abgeknickt
herabhingen, daß Tante Turkies Gefieder zerzaust war und daß Onkel Berni stumm
an seiner erloschenen Pfeife sog. Trotzdem strahlte ein geheimer Triumph aus
ihren Augen. Und obwohl sie nicht mit uns sprachen, sondern wieder das Zeichen
des Schweigens machten, entnahm ich ihren Gesten, daß ihre Unternehmung nach
Wunsch verlaufen war. Sie stiegen aus der Kutsche, bedeuteten Cookie Pott, er
möchte nichts berühren, nur Suleika ausspannen und in den Stall führen. Das tat
er, und wir hüteten uns wohl, die Waffensammlung im Wagen herauszunehmen. Wir
schoben die Kutsche in den Schuppen und begaben uns in das Haus. Hier trennten
wir uns. Ich schlief so fest, als habe man mir ein Schlafmittel eingegeben,
oder als hätte ich eine übermenschliche Anstrengung hinter mich gebracht.
Und
der Spuk der Nacht — wenn es einen gegeben hatte — war verflogen. Blau strahlte
der Himmel in mein Zimmer. Im Haus war alles ruhig. Desto turbulenter ging es
im Burghof zu. Ich sprang aus dem Bett, hinein in die Pantoffeln und in den
Morgenrock. Ich stürzte ans Fenster. Da bot sich mir ein wahrhaft verrückter
Anblick.
In
der Mitte des Hofes stand Cookie Pott, wie ein Cowboy gekleidet, ein Cowboy mit
dickem Bauch. Die Hüfte umgab kühn und ein wenig schief hängend ein
Patronengürtel. Seinen runden Kopf zierte der breitkrempige Hut.
Um
ihn herum — in weitem Abstand — fegten, hoppelten und rannten, kollerten und
torkelten Onkel Berni, Tante Turkie und Onkel Rab. Cookie Pott wirbelte seine
Wäscheleine gleich einem Wurfseil, wie ein Lasso, über dem Kopf, mit großer,
kunstgerechter Schlinge. Und dann ließ er es sausen — er schleuderte es nach
meinen lieben Vorfahren. Was soll ich sagen: er erwischte sie mit jedem Wurf!
Entweder hatte er das Kaninchen, die Truthenne oder den Bernhardiner in der
Schlinge.
Als
er nach oben blickte, sah er mich. Gleich hielt er inne und rief: »Ist das
nicht toll? Es trifft einfach immer, dabei habe ich noch nie in meinem Leben
ein Lasso geworfen .«
»Jetzt
gib einmal meinen Hals wieder frei«, kollerte Tante Turkie. »Ich war es Zeit
meines Erdenlebens gewöhnt, Perlenketten zu tragen, nicht aber Wäscheleinen —
Verzeihung, Lassos !«
Onkel
Berni setzte sich, um auszuruhen, auf die Steintreppe, die zum Burgturm hinaufführte,
paffte an seiner Pfeife und raunzte mir freundlich zu: »Komm herunter .«
Ich
folgte der Aufforderung.
Onkel
Berni sagte zu Cookie: »Nimm das Beil aus dem Wagen .«
Cookie
Pott wog es in seiner Hand.
»Wirf
es nach der verdorrten Eiche, neben dem Brunnen .« Cookie Pott tat es. Das Beil wirbelte durch die Luft. Krachend fuhr es ins
Holz. Und da steckte es mit zitterndem Griff. »Ein Tomahawk... ein echter
Tomahawk...«, freute sich Cookie.
»Und
nun nimm das Messer...«, sagte Onkel Berni.
Cookie
Pott schritt zur Kutsche. Er hatte bereits den sieggewohnten, wiegenden Gang
eines alten Westmannes. Er nahm das Küchenmesser... »Wirf es neben das Beil !« forderte ihn Onkel Berni auf.
Es
war eine Entfernung von etwa fünfzig Metern von der Kutsche bis zum Baumstamm.
Das Messer zog seinen Bogen durch die Luft. Es überschlug sich viele Male im
Flug. Aber mit unglaublicher Genauigkeit traf seine Spitze in die Rinde. Dicht
neben dem Beil steckte es, federte nach, stak unverrückbar.
»Unglaublich !« murmelte Cookie.
»Für
dich ist noch ein Colt in der Kutsche«, sagte Onkel Berni. »Doch wollen wir ihn
jetzt nicht ausprobieren. Ich sehe schon, daß unser
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