Lords und Ladies
unserer Jugend hatten wir für so etwas keine Zeit.«
»Wir waren zu sehr damit beschäftigt, selbst für unsere Unterhaltung zu sorgen.«
»Ja. Komm – wir müssen uns sputen.«
»Was soll das heißen?«
»Es geht nicht nur um die Mädchen. Dort draußen gibt es noch etwas anderes. Ein Bewußtsein streift umher.«
Oma Wetterwachs schauderte. Sie hatte die Gegenwart des fremden Ichs gespürt, so wie ein Jäger die Anwesenheit eines anderen Jägers wahrnimmt. Es gab subtile Anzeichen: Stille dort, wo man Geräusche erwartete; hier und dort ein geknickter Halm; das Summen zorniger Bienen.
Nanny Ogg hatte sich nie mit dem Borgen anfreunden können, und Magrat war nicht einmal bereit gewesen, einen entsprechenden Versuch zu unternehmen. Bei den alten Hexen auf der anderen Seite des Bergs gab es zu viele Probleme mit körperinternen Dingen; sie wollten sich nicht auch noch mit körperexternen Erfahrungen belasten. Aus diesem Grund blieb Oma in der mentalen Dimension allein.
Ein fremdes Ich glitt durchs Königreich, und Oma Wetterwachs verstand es nicht.
Sie borgte, und damit mußte man sehr vorsichtig sein. Es konnte wie eine Droge wirken. Auf den Selbstsphären von Tieren zu reiten, mit den Vögeln zu fliegen – aber nicht mit Bienen –, sie vorsichtig zu steuern, durch ihre Augen zu sehen… Oma Wetterwachs hatte sich oft durch die Kanäle des Denkens und Empfindens um sie herum geschaltet. Für sie war es ein Teil der Hexerei. Mit anderen Augen zu sehen…
Zum Beispiel mit denen von Mücken. Das langsame Muster der Zeit im schnellen eines Tages zu beobachten, wie Blitze hin und her zuckende Gedanken zu ertasten…
… mit dem Körper eines Käfers zu lauschen, die Welt als dreidimensionales Muster aus Vibrationen wahrzunehmen…
… mit der Nase eines Hunds zu sehen, zahlreiche Gerüche wie Farben…
Aber man mußte einen Preis dafür bezahlen. Niemand bat darum, und gerade deshalb wurde er zur moralischen Pflicht. Man neigte dazu, nicht nach Mücken zu schlagen. Man grub mit besonderer Vorsicht. Man fütterte den Hund. Man bezahlte. Man nahm Anteil. Nicht nur aus reiner Höflichkeit, sondern weil es richtig war. Man hinterließ nur Erinnerungen, und man trug allein Erfahrungen fort.
Doch jenes andere umherstreifende Ich… Wie eine Kettensäge drang es in Selbstsphären ein, nahm und nahm und nahm. Oma spürte die Form, eine raubtierartige Struktur, gefüllt mit Grausamkeit und kalter Lieblosigkeit. Ein Selbst voller Intelligenz, das andere Lebewesen benutzte und quälte, weil es Spaß machte.
Oma Wetterwachs kannte einen Namen für ein derartiges Bewußtsein:
Elf.
Zweige knarrten und knackten hoch oben in den Baumwipfeln. Wind rauschte wie Meereswellen.
Oma und Nanny schritten durch den Wald. Besser gesagt: Oma Wetterwachs schritt. Nanny Ogg trippelte.
»Die Herren und Herrinnen versuchen, einen Weg hierher zu finden«, sagte Oma. »Und das ist noch nicht alles. Etwas hat bereits unsere Welt erreicht – ein Tier von der anderen Seite. Pirsch jagte einen Bock in den Kreis, und jenes Geschöpf muß dort gewartet haben. Es heißt, etwas kann hierhergelangen, wenn dafür etwas anderes ins Drüben wechselt.«
»Was für ein Tier meinst du?« fragte Nanny.
»Du kennst ja die Augen von Fledermäusen. Mein Exemplar sah nur einen großen Schemen. Etwas hat Pirsch getötet. Ein Wesen, das sich noch immer hier herumtreibt. Es gehört nicht zu den Herren und Herrinnen, kommt aber von… von jenem Ort.«
Nanny sah zu den Schatten. Des Nachts gibt es ziemlich viele Schatten im Wald.
»Hast du Angst?« fragte sie.
Oma ließ die Fingerknöchel knacken.
»Nein. Aber ich hoffe, daß es sich fürchtet.«
»Oh, du hast völlig recht. Du bist tatsächlich stolz, Esmeralda Wetterwachs.«
»Wer hat das gesagt?«
»Du selbst. Vorhin.«
»Ich habe mich nicht gut gefühlt.«
Jemand anders hätte vielleicht gesagt: Ich war nicht ich selbst. Aber Oma Wetterwachs konnte überhaupt nicht jemand anders sein.
Die beiden Hexen eilten durch den Sturm.
Das Einhorn stand hinter einem großen Dornbusch und sah ihnen nach.
Diamanda Tockley trug tatsächlich einen Schlapphut aus schwarzem Samt. Mit Schleier!
Perdita Nitt – bis sie die Hexerei für sich entdeckt hatte, hatte sie schlicht Agnes Nitt geheißen – trug ebenfalls einen schwarzen Schlapphut mit Schleier, und zwar nur deshalb, weil Diamanda auch einen trug. Beide waren siebzehn. Perdita wünschte sich, von Natur aus ebenso dürr zu sein wie
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