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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einen echten Tanzbären von einem falschen untersche i den könne.
    Er sollte recht behalten. Der Auftritt im Badehaus ve r lief reibungslos, und Ailis sah zum ersten Mal in ihrem Leben so viele nackte und hässliche Männer auf einmal. Einer fragte gar, ob er den Kopf des Bären streicheln dü r fe, und Buntvogel gestattete es ihm für ein beträchtliches Entgelt in Münzen und Wein. Am Ende war Ailis nass vor Schweiß und völlig entkräftet, aber sie fand, dass es die Mühe wert gewesen war. Mehr als einmal hatte sie in ihrer Maskerade so laut lachen m üssen, dass Sankt Suff fester auf seine Pauke schlug, um die rätselhaften Laute aus dem Bärenmaul zu übertönen.
    War das Gauklerleben für sie bis dahin voller Spaß und Leichtsinn gewesen, lernte sie zwei Tage später auch den Ernst ihres neuen Daseins kennen. Sie erfuhr, dass es unter den einzelnen Trupps von Spielleuten üble Streiti g keiten gab, manchmal gar offene Kämpfe.
    Es begann damit, dass sie die anderen eines Abends am Lagerfeuer fragte, weshalb sie eigentlich keine echten Tanzbären mit sich führten. Sie erinnerte sich gut an Gau k lertruppen, die ihr Publikum auf Burg Rheinfels mit waghalsigen Bärenkunststücken unterhalten hatten; dabei hatten den begeisterten Zuschauern die Münzen beso n ders locker gesessen.
    Jammrich nahm einen glimmenden Zweig aus dem Feuer und entzündete damit se i ne geschwungene Pfeife. »Unter uns Spielleuten gelten solche, die Bären halten, als Abschaum«, erklärte er und paffte Rauchwolken in den Nachthimmel. »Die alten Götter müssen einen Grund gehabt haben, warum sie die Bären größer und stärker als uns Menschen machten, und es darf in keines Mannes Macht liegen, sich diese Tiere Untertan zu machen. Ve r stehst du, was ich meine?«
    Ailis zuckte mit den Schultern, und so fuhr Jammrich fort: »Glaubst du, die Bären tanzen, weil sie Spaß daran haben? Schon den Jungtieren werden Ringe durch die Nasen gezogen, man bindet ihnen die Kiefer zu, manchen werden die Augen ausgestochen. Danach quält der Gau k ler den Bären jahrelang mit weiß glühenden Eisen, mit Messern und Schwertern und Lanzen, während andere dabei musizieren. Irgendwann ist der Verstand des Bären ausgelöscht, und er wiegt sich auch ohne Torturen hin und her, sobald nur jemand auf einem Instrument spielt. Für die Zuschauer sieht es aus, als tanze er – tatsächlich aber erleidet das Tier noch einmal all die Qualen, die es seit seiner Geburt erdulden musste.«
    Sankt Suff nickte bestätigend. »Mit so was wollen wir nichts zu tun haben. Wir re i ten ja nicht mal auf Pferden.«
    »Ihr habt ja auch die Spielmannswege«, wandte Ailis ein, obwohl sie die Haltung der Männer zu schätzen wusste.
    »Auch ohne die Wege würde keiner von uns ein Ross besteigen«, sagte Buntvogel und blickte in die Runde. Alle nickten. »Wenn dir von jung an alle Menschenwü r de abgesprochen wird, so wie uns, dann lernst du die Würde anderer zu respektieren. Kein Tier soll mir je di e nen, und den anderen geht es genauso.« Zustimmendes Gemurmel ertönte.
    Jammrich beugte sich an Sankt Suffs Ohr und flüsterte etwas hinein. Ein Lächeln huschte über die feisten Züge des Dicken, dann gab er die Botschaft an Buntvogel we i ter. Bald war das Flüstern reihum gewandert. »Warum nicht?«, fragte schließlich Samuel Auf-und-Dahin, der die Worte als letzter vernommen hatte.
    Ailis, die sich über die Geheimnistuerei der Männer ärgerte, sah einen nach dem anderen finster an. »Hättet ihr die Güte, mir zu verraten, was – «
    Jammrich unterbrach sie. »Willst du sehen, was wir mit jenen machen, die sich an Bären und anderem Getier vergreifen?«
    »Diese Kerle haben sowieso längst mal wieder eine Abreibung verdient«, brummte Springsfeld.
    Wirrsang pflichtete ihm bei. »Ich habe gehört, dass sie sogar am Hofe König Lu d wigs aufgetreten sind.«
    Sein stummer Bruder nickte.
    »Gewiss im Gesindehaus«, knurrte Sankt Suff.
    »Der König schätzt den Bärentanz«, widersprach Jammrich.
    Sankt Suff rülpste lautstark. »Möge er an seinem k ö niglichen Fraß ersticken.«
    »Also?«, fragte Buntvogel Ailis. »Willst du dabei sein?«
    Ailis seufzte. »Ganz wie ihr wollt.«
    Schon sprangen alle auf. Springsfeld trat mit seinen langen Beinen das Feuer aus. Wenig später erklangen die ersten Instrumente. Ailis stellte sich zwischen Jammrich und Buntvogel. Sankt Suff, der auf seiner Pauke keine Melodie spielen konnte, hielt sich an die Brüder Wir r sang und

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