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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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n deren n icht beleidigen. A u ßerdem waren sie dem Lager der Bärenbändiger nun so nahe, dass jedes Wort ihre A n kunft verraten hätte. Der Wind trieb ihnen den scharfen Geruch der Tiere entgegen; ein Glück, denn so wurden auch die Geräusche ihrer Schritte davon geweht.
    Je näher sie kamen, desto deutlicher erkannte Ailis, wie klein die schlafenden Ge s talten am Feuer waren. Es waren in der Tat Zwerge. Nicht etwa die wuchtigen, langbärtigen Wesen aus den Legenden, sondern kleing e wachsene, ziemlich schmächtige Mä n ner mit schwarzem Haar und buschigen Schnauzbärten. Der Wächter sang leise vor sich hin, in einer Sprache, die Ailis nicht verstand. Jammrich hatte erwähnt, dass ein Gro ß teil der Tanzbärentreiber aus Ungarn stamme, einem Königreich im Osten, wo wilde Tiere hinter jedem Busch und Baum lauerten.
    Die Spielleute hatten sich ihre Instrumente auf die R ü cken gebunden. Sankt Suffs Pauke war fast so groß wie sein mächtiger Leib; auf seinem Rücken sah sie aus wie ein Schildkrötenpanzer. Sein Umriss im Dunklen war ein groteskes Zerrbild, halb Mensch, halb Ungetüm. Die Spielmänner hatten ihre Dolche gezogen, auch Ailis hatte zögernd nach ihrem Schwert gegriffen. Ihr war mehr als nur unwohl zu Mute. Ihre Freunde wollten doch nicht tatsächlich um der Bären willen Blut vergießen?
    »He!«, rief da der Lange Jammrich aus. »Aufwachen, ihr faulen Säcke!«
    Der Wächter fuhr herum und wäre vor Schreck fast die Felswand hinabgepurzelt, hätte Springsfeld nicht einen Satz nach vorne gemacht, um den kleinen Mann am Kr a gen zu packen. Lachend hielt er den zappelnden Kerl über den Abgrund, während die übrigen aus dem Schlaf auffuhren und sogleich in unverständliches Gebrabbel verfielen.
    Einer fuchtelte mit einem langen Messer, doch Sankt Suff schenkte ihm einen so mörderischen Blick, dass der Kleine die Waffe sogleich wieder sinken ließ. Feinklang nahm sie ihm mit einem freundlichen Lächeln ab und schleuderte sie über die Felska n te. Klirrend schlug sie irgendwo in der Tiefe auf.
    Jammrich beugte sich zu einem der Männer vor, kleinwüchsig wie die anderen, aber mit stolzem, hartem Gesicht. »Ihr wisst, weshalb wir hier sind«, sagte der Spie l mann zu dem Zwerg.
    Der Bärentreiber stemmte die Hände in die Hüften und erwiderte Jammrichs Blick mit hasserfüllten Augen. »Ich kenne dich, Musikant«, sagte er mit starkem Akzent. »Wie habt ihr uns diesmal gefunden?«
    »Der Geruch!«, entgegnete Jammrich mit breitem Grinsen. »Wir haben Wetten a b geschlossen, ob ihr oder eure Bären so stinken.«
    Die Faust des kleinen Mannes war unverhältnismäßig groß für seinen verkümme r ten Körperwuchs, und sie traf Jammrich mit solcher Wucht und Schnelligkeit in den Magen, dass einen Augenblick alle vor Überraschung erstarrten. Jammrich brach mit einem Keuchen zusa m men und blieb verkrümmt am Boden liegen.
    Sankt Suff stiefelte entrüstet auf den Anführer der Zwerge zu, doch Samuel Auf-und-Dahin hielt ihn z u rück. »Nicht!«, sagte er scharf. »Das wird Jammrich eine Lehre sein, den Mund nicht so voll zu nehmen.«
    Der Bärentreiber stieg ungerührt über den keuchenden Jammrich hinweg, würdigte die anderen Spielleute ke i nes Blickes und ging hinüber zu den Bären. Die Tiere hatten sich in ihren Kettengeschirren aufgesetzt und dem Geschehen über die Ränder ihrer Maulkörbe hinweg z u gesehen. Der Zwerg zog einen langen Schlüssel aus se i nem Wams und öffnete mehrere Vorhängeschlösser. Ra s selnd glitten die Ketten durch die Stahlringe an den Hal s bändern der Tiere. Dann öffnete er die Halsringe, zuletzt die Mau l körbe. Schließlich wurden die Tiere von keinen Fesseln mehr gehalten. Verwirrt blickten sie zu den Me n schen herüber und rührten sich nicht von der Stelle.
    Der Ungar kehrte zurück ans Feuer, wo Jammrich sich gerade aufsetzte. Er stöhnte noch immer und hielt sich den Bauch. Sein Gesicht und das des Zwerges waren jetzt auf einer Höhe. »Die Tiere sind frei«, sagte der kleine Mann in höhnischem Tonfall. »Nehmt sie mit, wenn ihr könnt.«
    Die Spielleute blickten einander fragend an, sogar Sankt Suff war um eine Antwort verlegen.
    »Was habt ihr früher mit ihnen gemacht?«, wisperte Ailis in Buntvogels Ohr.
    Der Spielmann zuckte mit den Schultern. »Sie sind immer sofort fortgelaufen, s o bald sie frei waren.«
    »Ihr seid wirklich wahre Helden«, bemerkte sie spitz, steckte ihr Schwert ein und ging an den Männern vorbei hinüber zu den Bären.

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