Loreley
Tagesritt en t fernt in einer winzigen Hütte hauste. Dies war die erste Messe seit ihrer Rückkehr von Burg Rheinfels. Fee eri n nerte sich ve r schwommen, dass sie vorher tatsächlich stets an Baans Seite daran teilgenommen hatte; heute aber stieg bei dem Gedanken heftige Übelkeit in ihr auf.
»Wenn du willst, können wir später darüber reden«, sagte Baan. Er nahm Fees Kleid von der Bank und hielt es ihr entgegen. »Hier! Wir haben keine Zeit mehr.«
Sie beachtete weder seine Hand noch das Kleid darin. Stattdessen drehte sie sich um und ging zum Fenster. »Die Sonne scheint. Es wird bestimmt ein schöner Tag.«
»Was hast du nur plötzlich?«, fragte er hinter ihrem Rücken. »Du hast doch früher nichts an der Messe ausz u setzen gehabt.«
Verträumt hielt sie ihr Gesicht in das einfallende So n nenlicht, schloss dabei lan g sam die Augen. »Meinungen ändern sich. Auch meine.«
Das Glockenläuten brach ab.
Sie hörte das Kleid rascheln, als es zurück auf die Bank fiel. Baan ging mit hastigen Schritten zur Tür. »Ich werde dich entschuldigen. Ich werde sagen, du bist krank und musst das Bett hüten.«
»So ein schöner Tag«, flüsterte Fee noch einmal. »Ich denke, ich werde ein wenig schwimmen.«
Baan hatte es nicht gehört. »Bleib wenigstens im Zimmer, wenn du nicht willst, dass die Leute reden.« Er öffnete die Tür und trat auf den Flur. Noch immer scha u te sie sich nicht zu ihm um.
»Die heiße Quelle ist heute bestimmt wunderbar«, sagte sie, aber da war Baan schon fort und hatte die Tür zugezogen.
Sie drehte sich um und ging zur Bank, auf der ihre Kleidung lag. Das Kleid ließ sie liegen – sie würde es im Wasser ohnehin nicht brauchen. Stattdessen warf sie sich nur einen Umhang über, verließ dann barfuss die Ka m mer.
Das Treppenhaus war menschenleer, die meisten B e diensteten nahmen an der Me s se teil. Erst draußen vor dem Turm traf sie auf zwei Stallburschen. Die beiden starrten sie aus großen Augen an, als sie ihre blanken Beine unter dem Überwurf bemerkten. Kühl befahl Fee ihnen, ihr Lieblingspferd zu satteln.
Bald darauf trug das Tier sie aus dem Schatten des Turmes. Schon nach den ersten Schritten ließ sie den Umhang von den Schultern gleiten.
Sie hatte sich schon immer gewünscht, einmal nackt zu reiten.
Die sieben Spielleute taten ihr Möglichstes, damit Ailis sich in ihrer Gegenwart wohl fühlte. Die Tage rasten nur so dahin, Langeweile oder Stillstand schien es im Leben dieser Männer nicht zu geben. Die Benutzung der Spie l mannswege war bald nichts Ungewöhnliches mehr, und Ailis wurde vertraut mit dem bizarren Zusammenspiel aus Klängen und Bildern, jenem wundersamen Strudel, der jene, die die Wege benutzten, von einem Ort zum anderen saugte.
Obwohl sie sich dem Geheimnis der Melodie hinter der Melodie schon so nahe g e fühlt hatte, begriff sie nun, dass die wahre Bedeutung dieses Mysteriums für sie noch immer in weiter Ferne lag. Sie versuchte mühsam, sich die Klangfolge einzuprägen, welche die Spie l mannswege öffnete, doch nicht ein einziger Ton blieb ihr im Gedäch t nis. Mochte ihr Gehör noch so ausgereift sein, dem Zauber der rätselhaften Melodie war es nicht g e wachsen.
Ailis folgte den sieben Spielleuten zurück in die wir k liche Welt, sah zu, wie sie in Gasthöfen und bei Bauer n hochzeiten aufspielten, lernte von Springsfeld das Ta n zen und von Sankt Suff, wie man log, ohne rot zu we r den. Beim Tanzen stellte sie sich g e schickter an als beim Lügen, doch der fette Spielmann versicherte ihr, sie we r de schon bald dahinter kommen, wie man es richtig m a che.
Besonders bemüht um sie war auch der dunkelhäutige Buntvogel, und binnen w e niger Tage lernte sie seinen Rat, aber auch seinen klugen Witz zu schätzen. Einmal, als der Gauklertrupp in einem Badehaus für Männer au f spielen sollte, ersann Buntvogel einen Plan, wie man A i lis hineinschmuggeln könne, obwohl Frauen der Zutritt streng s tens verboten war. Auf dem Marktplatz kaufte er ein altes Bärenfell, vernähte es mit einigen groben N a delstichen zu einer Art Anzug und ließ Ailis unter dem Gelächter der anderen hineinschlüpfen. Der Schädel des Tieres war ausgehöhlt, roch dementspr e chend, bot aber genug Platz für Ailis’ Kopf. Als sie sich entrüstete, jeder Dummkopf würde diese Verkleidung durchschauen, wi e gelte Buntvogel ihre Einsprüche ab und erklärte ihr, dass man bei all dem Wasserdampf im Badehaus kaum den Boden vor Augen sehen, geschweige denn
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