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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dass das Echo dir d eine Freundin weggenommen hat. Das ist es doch, nicht wahr? Du hast die Hof f nung noch immer nicht aufgegeben. Aber glaub mir, Ailis, Fee ist nicht mehr. Sie ist« – er schnippte mit den Fingern – »einfach fort.«
    Wütend hieb sie ihre Stiefel in die Flanken des Pfe r des. Jammrich musste zur Seite springen, um nicht von den donnernden Hufen überrannt zu werden. Sie wollte nicht, dass er ihre Tränen sah; sie wollte auch nicht, dass er ihr noch einmal folgte oder gar auf den Spielmann s wegen zuvorkam. Was sie zu tun hatte, wollte sie allein tun.
    Dabei hatte er doch recht. Es ging nicht um die Welt, dieses grenzenlose, unfassb a re Ding, das in all seiner Seltsamkeit weder von ihr noch von irgendwem sonst versta n den, geschweige denn gerettet werden konnte. Aber es ging auch nicht um gekränkte Eitelkeit. Nicht einmal um Rache.
    Alles, was sie tat, tat sie für Fee.
    Und das war der beste Grund, den sie sich vorstellen konnte.
     
    Als die Nacht vollends hereingebrochen war, zügelte A i lis ihr Pferd unter einer knorr i gen, windgebeugten Eiche und stieg aus dem Sattel. Nicht lange vorher hatte sie das Ross an einem kleinen Tümpel trinken lassen, und jetzt gönnte sie sich selbst einen großen Schluck aus dem Wasserschlauch, aß die Hälfte dessen, was von Brot und Wurst noch übrig war, und spülte beides mit einem we i teren Schwall Wasser hinunter.
    Die Eiche stand einsam unter der gewaltigen Kuppel des Sternenhimmels. Wie kommt es, dachte Ailis, wä h rend sie sich erschöpft im Gras niederlegte, dass der Himmel am Tag noch so verhangen sein kann und trot z dem des Nachts klar g enug ist, um all die Sterne hera b leuchten zu lassen? War es, weil die Götter den Me n schen beim Schlafen zuschauten und dabei entschieden, in welche Bahnen sie das Schicksal ihrer arglosen Schö p fungen lenkten?
    Dabei war im Verlauf all der Ereignisse, der Fluchten und Niederlagen, die sie durchlebt hatte, nie die Rede von Göttern gewesen. Wir sind alle nur Figuren im Spiel Titanias, hatte der Lange Jammrich damals gesagt.
    Keine Götter, nur die Königin von Faerie.
    »Wenn du mich hören kannst, du Miststück«, schrie Ailis zornig in die Nacht hi n aus, »dann lass dir sagen, dass ich nichts gebe auf dein Spiel und seine Regeln! Ich lasse mich nicht von dir von einem Feld aufs andere zi e hen! Alles, was ich tue, g e schieht nach meinem eigenen freien Willen!«
    Sie fühlte sich entsetzlich hilflos. Eigentlich kein ne u es Gefühl. Mochte sie sich auch ihr ganzes Leben lang noch so hart und eigenwillig geben, in Wahrheit hatte sie sich immer nur nach anderen gerichtet, nach dem, was sie taten, dachten, bestimmten. Sie hatte nie eine eigene Wahl gehabt. Erst ihre Eltern, die sie spüren ließen, wie wenig sie für sie empfanden, und sie schließlich ganz aufgaben. Dann der gute Wille der gräflichen Familie, der sie zu Dankbarkeit für Dinge zwang, an denen ihr nichts lag. Schließlich das Echo, dem sie sich nur entzi e hen konnte, weil Fee an ihre Stelle trat. Nichts davon war ihre eigene Entscheidung gewesen.
    Um so wichtiger, dass sie gerade jetzt das tat, was sie für das Richtige hielt. Sie würde sich keine weiteren Vo r schriften machen lassen, nicht von Jammrich, nicht ei n mal von ihrer Vernunft. Sie verließ sich nur noch auf ihre Gefühle. Endlich würde sich zeigen, ob sie in der Lage war, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen. Götter? Titania? Zum Teufel mit ihnen!
    Im matten Licht der Sterne schlief sie ein, und falls sie abermals träumte, erinnerte sie sich nach dem Aufw a chen nicht mehr daran. Es war schon hell als sie die A u gen aufschlug. Sie fühlte sich immer noch müde und schwach. Das erste, worauf ihr Blick fiel, waren ihre Schwertscheide und die Flöte, die daran befestigt war.
    Im feuchten Gras setzte Ailis sich auf und zog das I n strument aus den Halteschla u fen. Zögernd führte sie es an die Lippen. Ihre Finger tasteten erst zaghaft, dann immer geschickter über die Öffnungen. Verspielte, hauchzarte Töne wehten über die Ebene, erst ohne jede Harmonie, dann aber, ganz allmählich, als eindringliche Folge melod i scher Klänge.
    Einen Augenblick lang setzte Ailis die Flöte ab und starrte sie überrascht an. W a rum konnte sie ihr plötzlich solche Töne entlocken?
    Zögernd spielte sie weiter. Spielte eine Melodie, die sie eben noch nicht gekannt hatte. Es war genau wie in jener Nacht, als sie den Tanzbären gegenübergestanden hatte. Irgendetwas schien sich

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