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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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am B o den.
    »Ist es offen?«, fragte Ailis beklommen und deutete auf die Öffnung, auf das Tor nach Faerie.
    Jammrich zuckte nur mit den Schultern. Sankt Suff wollte mit der Faust auf den Fels schlagen und irgende t was sagen, doch seine Hand fiel nur schlaff herab, und er war zu schwach, um die richtigen Worte zu finden.
    Jammrich ging neben ihm in die Hocke und legte eine Hand auf seine Schulter. »Wir müssen ihn ins Wirtshaus am Spielmannsweg bringen. Dort kann man ihm he l fen.«
    Ailis gab keine Antwort. Zögernd trat sie näher an den Schacht heran. Das Feuer hatte keine Spuren hinterla s sen, nicht einmal Ruß. Der kühle Geruch des Felsinneren schlug ihr entgegen. Sie wusste nicht, wie ein offenes Tor nach Faerie aussah – ob es dabei überhaupt etwas zu sehen gab –, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass dieses hier verschlossen war. Es musste verschlossen sein. Fünf i h rer Freunde waren dafür gestorben.
    Plötzlich gaben ihre Knie nach, sie sank kraftlos zu Boden. Die Erkenntnis, dass sie die anderen nie wiede r sehen würde, dass sie alle für etwas gestorben waren, das sie, Ailis, ausgelöst hatte, brach mit schrecklicher Gewalt über sie herein. Sie konnte nicht einmal mehr klar genug denken, um sich wirklich schuldig zu fühlen. Aber sie machte sich nichts vor: Die Schuldgefühle würden sie noch schnell genug ereilen. Bis dahin musste sie diese ganze Sache zu einem Ende bringen.
    Jammrich kam zu ihr, streichelte ihr über den Kopf.
    »In deinem Haar klebt Blut«, murmelte er. »Ist das von dir?«
    Sie verneinte stumm, sah aber nicht zu ihm auf.
    »Ich muss Sankt Suff zum Wirtshaus bringen«, sagte er. »Er verliert zu viel Blut und er schafft den Weg nicht allein.«
    Abgesehen von Ailis war Sankt Suff der einzige unter den Gauklern gewesen, der die Spielmannswege nicht aus eigener Kraft benutzen konnte. Auf seiner Pauke ließ sich keine Melodie spielen und ein anderes Instrument beherrschte er nicht.
    »Ich kann nur einen von euch mitnehmen«, sagte Jammrich und legte eine Hand auf seine Sackpfeife, die wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war. »Warte hier auf mich, Ailis. Sobald Sankt Suff in Sicherheit ist, komme ich zurück und hole dich.«
    Ailis schüttelte den Kopf. »Ich gehe zu Fee«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ich töte sie.«
    »Du allein? Sei keine Närrin!«
    »Vielleicht gibt es einen Weg.«
    »Ja, vielleicht. Aber du kennst ihn nicht.« Er legte die Stirn in Falten und Zorn blitzte in seinen Augen. »Ich will nicht n och jemanden verlieren. Und wenn ich dich weich prügeln muss, damit du zur Vernunft kommst!«
    Sie schenkte ihm ein bitteres Lächeln. »Sankt Suff verblutet. Also kümmere dich um ihn, nicht um mich.«
    Er packte sie grob am Oberarm und zerrte sie auf die Füße. »Du kannst das Echo nicht vernichten. Vielleicht gelingt es dir, deine Freundin zu töten, ihren Körper, das, was von ihr übrig geblieben ist. Aber niemals das Echo!«
    Jetzt war sie es, die die Geduld verlor. »Und das alles hier?«, schrie sie ihn an und deutete wütend über das Schlachtfeld. »Für was sind die anderen gestorben, wenn wir diese Sache jetzt nicht zu Ende bringen? Was glaubst du, wie lange es dauern wird, bis das Echo hier ist und das Tor selbst öffnet? Das Unheil ist das gleiche, egal, wer dafür verantwortlich ist. Ich muss das Echo vernic h ten!«
    Sein Blick bohrte sich scharf in ihre Augen. »Ich habe all diese Männer viele Jahre lang gekannt. Sie waren meine besten Freunde. Sag du mir nicht, ich wüsste ihren Tod nicht zu würdigen!«
    Hinter seinem Rücken ertönte eine keuchende Stimme. »Sie hat recht, Jammrich! Die Kleine hat recht!«
    Jammrich fuhr herum und war mit zwei schnellen Sä t zen bei Sankt Suff. »Recht oder nicht, es wird ihr kaum helfen, wenn das Echo sie erst in Stücke reißt.« Er beugte sich über das verletzte Bein des Freundes und sein Blick wurde noch sorgenvoller. Die Wunde war aufgeklafft wie eine überreife Pflaume und das Blut floss jetzt noch schne l ler.
    »Bring mich auf die andere Seite des Flusses«, bat A i lis. »Und dann komm zurück und sorge dafür, dass Sankt Suff geholfen wird.«
    »Tu, was sie sagt«, forderte Sankt Suff mit ersterbe n der Stimme.
    Einen Augenblick lang war Jammrich hin und her g e rissen zwischen den beiden. Ein Sprung zum anderen Ufer würde nur einige Herzschläge dauern. Ailis starrte ihn flehend an.
    »Gut«, sagte Jammrich und packte die Sackpfeife. »Komm her.«
    Ailis wechselte einen letzten Blick mit

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