Loreley
Sankt Suff, der ihr aufmunternd zunickte, dann ertönten die ersten Klä n ge.
Es ging so schnell, dass sie die Lichter und Töne der Spielmannswege kaum wahrnahm. Sie spürte den übl i chen Schlag unter die Fußsohlen, dann standen sie und Jam m rich auf dem Weg, der vom Dorf hinauf zu Burg Rheinfels führte.
»Danke«, sagte sie, und fügte dann hinzu: »Und jetzt verschwinde! Sankt Suff braucht deine Hilfe.«
Jammrich nickte und hob das Mundstück der Sac k pfeife an die Lippen. »Versprich mir«, verlangte er, b e vor er hineinblies, »dass du nichts Dummes tust.«
Ailis lächelte nur und trat einen Schritt zurück.
Dann ertönte die Melodie der Spielmannswege und zerrte Jammrich davon.
Einen Moment lang kämpfte sie mit Schwindel und Übelkeit, dann schob sie mit zitternder Hand das Schwert in die Scheide auf ihrem Rücken und machte sich auf den Weg zur Burg.
8. Kapitel
Zwei Tage lang ritt sie fast ohne Unterbrechungen. Wenn sie doch einmal Halt machte, konnte sie nicht schlafen. Sobald sie einnickte, sah sie die Leichengesichter ihrer toten Freunde vor sich, schrak mit einem Schrei auf den Lippen hoch und starrte zum Hi m mel hinauf, als gäbe es dort eine Antwort auf all ihre Fragen.
Der Pferderücken zwischen ihren Schenkeln fühlte sich an wie scharfe Klingen, die ihr die Haut von den Knochen schälten. Der Weg, dem sie folgte, führte i m mer tiefer ins Herz der Eifelberge. Je höher sie kam, des to kühler wurde es. Hier oben waren Jahreszeiten ohne B e deutung. Der Wind schnitt unerbittlich durch ihre Kle i dung und war immer wieder von Nieselregen durc h setzt. In den Tälern war es erträglicher gewesen, dort ha t ten Bergflanken und Wälder sie vor den Winden g e schützt. Seit sie aber die Ausläufer der Hochebene e r reicht hatte, war es schlimmer geworden. Viel schli m mer.
Wie sehr sie sich wünschte, das verfluchte Flötenspiel zu beherrschen! Bei jeder noch so kurzen Rast setzte sie das Instrument an die Lippen und versuchte zu spielen. Sie machte Fortschritte, o ja, aber es reichte noch immer nicht aus, um die Spielmann s wege zu öffnen. Erst jetzt wusste sie wirklich zu würdigen, wie mühelos die Reisen an der Seite der Gaukler gewesen waren.
Nachdem Jammrich sie am Fuß des Burgberges abg e setzt h atte, war sie hinaufgestiegen und hatte schnu r stracks Erlands Schmiede aufgesucht. Als sie die Tür öffnete und ihr der Geruch von Ruß und heißem Eisen entgegenschlug, war ihr, als wäre sie nie fort gewesen. Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass es gerade einmal zwei Wochen her war, seit sie zuletzt das Hä m mern des Schmiedes vernommen hatte. Es kam ihr vor wie zwei Jahre. Hier in der Burg hatte sich nichts verä n dert, aber in ihr selbst, in Ailis’ Kopf, hätte die Wan d lung kaum größer sein können. Sie kam sich vor wie eine Fremde.
Erland blickte auf, als sie eintrat. Er ließ fallen, was er in Händen gehalten hatte, und schloss sie in seine Arme. Er wollte wissen, wo sie sich herumgetrieben hatte und wie es ihr ergangen war. Sie erzählte ihm in aller Kürze von Spielleuten, denen sie sich angeschlossen hatte, und wie gut es ihr gefallen habe, ein wenig von der Welt zu sehen. Sein Blick war voller Zweifel, und erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass sie das Blut in ihrem Haar und auf ihrer Kleidung vergessen hatte. Erland glaubte ihr kein Wort von all ihrem überschwänglichen Gerede über die Vorzüge des Vagantenlebens.
Er stellte Fragen, sicher, aber er gab bald auf, als er merkte, dass sie nicht geko m men war, um zu reden. Sie wollte etwas von ihm, und er wäre nicht der Erland g e wesen, den sie kannte, hätte er nicht gleich alles in B e wegung gesetzt, um ihr zu helfen.
Als sie ihn bat, ihr ein Pferd und Verpflegung zu b e sorgen, griff er mit beiden Hä n den in seine Münzkiste und ging mit ihr hinüber zu den Pferdeställen. Es war mitten in der Nacht, aber ein paar Fußtritte des Schmi e des brachten die Stallburschen eilig auf die Beine. Erland schleuderte ihnen die Münzen verächtlich ins Gesicht, doch nach dem ersten Schrecken konnten die beiden Ju n gen ihr Glück kaum fassen. In Windeseile war eines der besten Pferde gesa t telt und reisebereit, die Satteltaschen mit Brotfladen, de r ber Wurst und einem Wasserschlauch gefüllt.
Erland begleitete Ailis bis hinaus vor das Burgtor, und er sorgte dafür, dass keiner der Wachtposten sie aufhielt, obwohl sie ohne Pferd angekommen war und nun auf einem der schnellsten davonritt.
»Ist
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