Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
wir erwartet hatten, und so mussten wir unser Vorh a ben aufgeben. Keiner der unseren wurde gefasst, und noch am selben Tag machten wir uns davon, unerkannt und auf den schnellsten Rössern, die wir finden kon n ten.«
    »Stehlen konnten, meinst du.«
    Er hob die Schultern. »Wir ritten Tag und Nacht, gönnten d en Tieren und uns selbst kaum Rast. Und schließlich, nach ein, zwei Wochen, erreichten wir Nov a ra in der Lombardei, wo der Orden Quartier bezogen ha t te.«
    »Das wird eine feine Räuberhöhle gewesen sein«, sa g te Fee abfällig.
    »Du musst mir nicht ständig vor Augen halten, was ich falsch gemacht habe. Das weiß ich längst. Damals aber wusste ich es nicht und dementsprechend habe ich geha n delt.«
    Die naive Art und Weise, mit der er seine Vergange n heit rechtfertigte – es ist lange her, und niemand kann mehr etwas daran ändern –, verwunderte Fee. Dann aber begriff sie. Er maskierte die Ereignisse mit den Jahren, die seither verstrichen waren; er hatte erkannt, dass das, wenn überhaupt, die einzige Möglichkeit war, die Ve r gangenheit zu verschleiern.
    »Nach einer Weile verließ mich das Vertrauen in Do l cino und seine zweischneidigen Ideale und ich nahm A b schied von seinem Lager auf dem Monte della Parete Ca l va.« Er trat an eine hohe Truhe neben der Tür. Darauf standen ein Wasserkrug und mehrere Tonbecher. Er goss sich etwas ein und fragte Fee, ob sie ebenfalls Durst h a be. Als sie verneinte, trank er einen Schluck und fuhr fort: »Wie sich bald herausstellte, hatte ich das einzig Richtige getan. Nur wenige Wochen später flohen Dolc i no und seine engsten Getreuen aus der Gegend von N o vara und schlugen ihr Lager auf einem anderen Berg auf, nahe Trivero. Lange blieben sie dort nicht, denn Kirche und König hatten längst Soldaten gegen sie in Marsch gesetzt. Dolcino und seine Gefährtin Marg a retha wurden in Ketten gelegt und beide endeten auf dem Scheiterha u fen.«
    Fee sah lange in das Gesicht dieses Mannes, der von Scheiterhaufen sprach, als seien sie etwas ganz Alltägl i ches. Und s ie erinnerte sich auch an das, was Ailis gesagt hatte, darüber, dass viele die Gräfin gerne würden bre n nen sehen. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass die Umgebung, in der sie aufgewachsen war, sich von jener der übrigen Edeldamen am Königshof deutlich unte r schied. Wie ein Blitz durchzuckte sie die Erkenntnis, dass sie nicht geschaffen war für das luxuriöse Leben bei Hofe. Etwas in ihr würde immer dagegen aufbegehren. Vielleicht, weil sie mehr Blut von ihres Vaters Seite in sich trug, als sie bisher hatte wahrhaben wollen.
    »Das alles ist dreizehn Jahre her«, sagte er.
    Bevor er fortfahren konnte, kam sie ihm lächelnd z u vor: »Und seitdem hast du dich verändert. Das willst du doch sagen, oder?«
    »Gewiss.«
    »Du bist also ein redlicher Mann geworden.«
    »Willst du mich verspotten?«
    Gegen ihren Willen und dem Augenblick kaum ang e messen prustete sie los und schlug verschämt die Hand vor den Mund. »Tut mir Leid«, presste sie hervor. »Ich glaube, ich habe einfach jemanden ganz anderes erwa r tet.«
    »Enttäuscht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Meine Zofen würden in Ohnmacht fallen, wenn sie mich hören könnten. Aber, nein, ich bin nicht enttäuscht. Entweder ist mein Vater ein Ve r rückter oder aber ein großartiger Lügner. Beides macht ihn … nun, ungewöhnlich.«
    »Ist es das, was Töchter sich wünschen – dass ihre V ä ter ungewöhnlich sind?«
    »Ich weiß nicht. Ich hatte noch keinen.«
    Er legte den Kopf leicht schräg, als forsche er in ihren Augen, ob sie tatsächlich traurig darüber war. Dann ging er hinüber zu den Satteltaschen auf dem Bett. An einer öffnete er eine verborgene Lasche und steckte die Hand in einen Schlitz im Leder, der eben noch unsichtbar g e wesen war.
    »Verrückt mag ich sein«, sagte er, als er sich wieder zu Fee umdrehte. »Aber ich bin kein Lügner.«
    Mit diesen Worten hielt er ihr seine Hand entgegen, deren Finger etwas umschlo s sen hielten.
    »Hier«, sagte er auffordernd.
    »Was ist das?«
    »Komm näher und sieh es dir an.«
    Mit wenigen Schritten überwand sie die Distanz zw i schen ihnen und streckte z ö gernd die Hand aus. Ihr Vater legte seine Faust hinein und öffnete die Finger. Etwas Hartes, Kaltes fiel auf ihre Handfläche.
    Es war ein Edelstein, und er war etwa zweimal so groß wie eines ihrer Fingergli e der, ein dunkelroter Rubin, in dem sich das Licht vom Fenster brach. Mit großen Augen starrte sie

Weitere Kostenlose Bücher