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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schauten ihr nach, doch sie gab vor, es nicht zu bemerken. Sie wusste, dass sie jetzt schöner war als jede andere Frau in der Burg, zumindest fühlte sie sich so, und sie fand, dass sie jeden anerkennenden Blick, jedes geheime Verlangen redlich verdiente.
    Es dauerte nicht lange, da stand sie vor der Kammertür ihres Vaters, klopfte laut, aber nicht überhastet. Er sollte nur nicht denken, sie hätte diese Begegnung kaum erwa r ten können.
    Er öffnete, und ihn jetzt so vor sich zu sehen, genau wie das Abbild in ihrer Erinnerung und doch ganz a n ders, lebendiger, menschlicher, nahm ihr ein bisschen von ihrer vorgefertigten Ablehnung. Dennoch ließ sie sich nichts anmerken, ging mit kühlem Nicken an ihm vorbei, trat ans Fenster und blickte durch das milchige Glas nach dra u ßen.
    »Du wolltest mich sprechen?«, fragte sie, ohne ihn a n zusehen.
    Er machte einige Schritte auf sie zu, wollte wohl n e ben sie treten, überlegte es sich dann aber anders.
    »Ich möchte, dass wir uns kennen lernen«, sagte er hinter ihrem Rücken. Seine Stimme klang ruhig, gefasst, aber keineswegs überlegen.
    Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. War sie ihm nicht doch dankbar für diese Worte, ganz tief in ihrem Innern?
    Nun, falls dem so war, würde sie es ihm nicht zeigen.
    »Die Möglichkeit hatten wir schon einmal, glaube ich. Vor zwei Tagen.« Sie drehte sich um und schaute ihm geradewegs in die Augen. Es war, als sähe sie in einen Spi e gel. Das da waren ihre Augen, ebenso blau, ebenso klar und leuchtend. Einen Moment lang kam es ihr vor, als würde sie ihn schon seit Jahren kennen. Da war ein Stück von ihr in ihm. Oder eher noch – so schwer es auch fiel, das zuzugeben – ein wenig von ihm in ihr. Was, wenn es noch mehr Übereinstimmungen gab? Wenn sie sich in Wahrheit viel ähnlicher waren, als Fee je für mö g lich gehalten hatte?
    »Was vor zwei Tagen vorgefallen ist«, sagte er lan g sam, »das tut mir – «
    »Leid?«, unterbrach sie ihn scharf. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
    Er schwieg für einen Moment, überrumpelt vielleicht oder verärgert. Dann erkannte sie, dass er nichts von be i dem war. Er fühlte sich schuldig, das konnte sie jetzt fast riechen. Die Frage war, schuldig gegenüber wem – ihr selbst oder dem Abbild ihrer Mutter?
    »Ich will dich nicht anlügen«, sagte er, löste sich aus ihrem Blick und ging langsam im Zimmer auf und ab. »Ich werde dir jetzt nicht erzählen, dass alles, was mir in den vergangenen Jahren widerfahren ist, mich davon a b gehalten hat, dich zu besuchen. Das, was du sicher längst vermutet hast, ist wahr: Ich wollte dir nicht begegnen. Um keinen Preis der Welt.«
    »Natürlich nicht«, erwiderte sie gehässig. »Du hattest Angst davor.«
    »Angst, ja«, gab er zu ihrem Erstaunen zu. Solche Eingeständnisse passten nicht zu seinem harten, wette r gegerbten Gesicht. »Aber nicht vor Schuldgefühlen. Ich hatte Angst um dich, Mädchen.«
    »Mein Name ist Fee.«
    »Das ist nicht der Name, den deine Mutter und ich dir geben wollten.«
    Noch eine Überraschung. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wer ihren Namen ausgewählt hatte.
    »Dazu hattest du wohl keine Zeit mehr, bevor du dich davongemacht hast.«
    Einen Herzschlag lang blitzte Zorn in seinen Augen, dann aber nickte er. »Wenn es dir hilft, greif mich nur an.«
    »Es macht dir nichts aus, nicht wahr? Weil du dir noch immer nicht eingestanden hast, dass ich deine Tochter bin.« Sie rief sich zur Ruhe, vergeblich. »Anderen Vätern gefällt e s gewiss nicht, wenn ihre Kinder schlecht von ihnen denken.«
    »Du hast ja allen Grund dazu.«
    Die Milde erschien ihr wie Schwäche, und das machte sie nur noch wütender. »Das ist wirklich rührend. Du bist nach all den Jahren zurückgekehrt, du siehst deine Fehler ein und bereust sie. Gleich werden wir uns in die Arme fallen und fortan glücklich und zufrieden unter einem Dach leben.«
    »Nein.« Er sah müde aus, als hätte er während der letzten zwei Tage kaum geschl a fen. »Ich weiß nicht, wie lange ich hierbleiben werde. Aber es wird keine Ewigkeit sein. Ich werde genauso schnell aus deinem Leben ve r schwinden, wie ich erschienen bin, Fee. Und ich denke, das ist genau das, was du willst.«
    Sie durchschaute ihn. Er wollte ihr die Schuld dafür geben, dass er wieder von hier fortging. Das hatte er schon früher getan, als ihre Mutter während der Geburt gestorben war; auch damals war in seinen Augen Fee die Schuldige gewesen. Doch so einfach würde

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