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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihn an.
    »Der Stein aus der Tiara des Papstes«, sagte ihr Vater. »Ich war derjenige, der ihn damals aufhob.«
    Das glitzernde Juwel war leichter als ein gewöhnlicher Flusskiesel, und doch hatte Fee das Gefühl, er zöge ihre Hand langsam nach unten.
    »Du hast ihn all die Jahre aufgehoben?«
    Er nickte. »Wenn ich sterbe, möchte ich, dass er me i ner Tochter gehört.«
    Sie löste ihren Blick widerwillig von dem Stein und betrachtete ihren Vater zwe i felnd. »Er ist für mich?«
    »Noch nicht. Aber irgendwann wird er dir gehören.«
    »Aber du … du bist arm«, stammelte sie. »Onkel wird dir nichts von all dem hier abgeben, so gut kenne ich ihn. Wenn du den Stein verkaufst, könntest du – «
    »Reich sein?« Er nahm den Rubin vorsichtig aus ihrer Hand und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, hob ihn blinzelnd vor sein rechtes Auge. Ein roter Lich t strahl tauchte seinen Augapfel in Blut. »Ich hätte mehr als einmal reich sein können, wenn ich es gewollt hätte. Auch ohne das Erbe meiner Tochter anzurühren.«
    »Aber – «
    »Nein. Lass mich ausreden. Ich habe mich von Dolc i no getrennt, weil ich begriff, wie verlogen all seine Pr e digten waren. Er pries die Armut als höchstes Glück, ve r stieß aber gegen seine eigenen Regeln. Dolcino war ein Räuberhauptmann, keine Frage. Doch obwohl ich ihn ablehnte, bin ich immer noch überzeugt, dass die Armut uns viel mehr gibt als sie uns vorenthält. Die Gedanken, die Dolcinos und Gherardos Reden zugrunde lagen, w a ren gute Gedanken. Wilhelm soll in seiner Burg sitzen, in seinem Rittersaal, und aus goldenen Schüsseln essen – das alles bedeutet mir nicht das Gering s te. Die Bauern dort draußen hungern, und lieber lebe ich unter ihnen und höre meinen Magen knurren, als ein Leben lang das Schicksal meines Bruders zu teilen.«
    »Du fürchtest dich vor der Verantwortung.«
    »Sicher. Ich will sie nicht geschenkt, aber ich will auch sonst nichts von ihm. Weißt du, was er mir angeb o ten hat? Oh, nicht, weil er plötzlich großzügig geworden wäre – nein, weil er Angst vor mir hat! Vor mir und me i nen Ansprüchen. Er will mir die Hälfte seiner neuen Burg überlassen.«
    »Reichenberg?«, fragte Fee erstaunt. »Aber die ist sein ganzer Stolz.«
    »Und von mir aus soll sie es bleiben. Ich will nichts davon. Sag mir, was soll ich mit einer Burg, egal ob ganz oder halb, oder auch nur mit einem einzigen Mauerstein davon?« Er steckte den Rubin zurück in die Satteltasche. »Nein, Fee, Wilhelm soll mit dem, was er hat, glücklich werden. Er hat längst einen viel zu hohen Preis dafür b e zahlt.«
    Fee horchte auf. »Was für einen Preis meinst du?«
    Er zögerte, dann winkte er ab. »Nichts. Vielleicht se i ne Freiheit oder sein reines Gewissen. Das ist weit mehr, als ich zu geben bereit wäre.«
    Sie hatte das Gefühl, als hätte er eigentlich auf etwas anderes hinausgewollt, aber sie bohrte nicht weiter. Nicht jetzt.
    Stattdessen fragte sie: »Was hast du seit deiner Tre n nung von diesem Dolcino g e tan? Dreizehn Jahre sind eine lange Zeit.«
    »Eine Weile lang war ich Schüler des Marsilius in P a ris, ging dann bei Meister Eckhart in Köln in die Lehre.«
    Fee hatte keinen dieser Namen je gehört.
    Ihr Vater lächelte nachsichtig. »Beides kluge Männer, wenn auch von sehr unterschiedlichem Gemüt. Und be i de verfechten die Armut, wie bereits Dolcino, Gherardo und vor ihnen Franz von Assisi. Nur dass beide keine verbohrten Narren sind, keine Besserwisser und religi ö sen Eiferer.« Er fasste Fee plötzlich an den Schultern. »Verla n ge nie wieder von mir, den Stein zu verkaufen, Fee. Irgendwann wird er dir gehören. Er ist alles, was ich dir geben kann.«
    »Du musst mir nichts geben«, sagte sie leise und ließ zu, dass er sie an sich zog. »Ich bin meinem Vater b e gegnet, das ist mehr, als ich mir je erhofft habe. Keiner hat wirklich geglaubt, dass du noch am Leben bist.«
    Er drückte sie fest an seine Brust, küsste sanft ihren Scheitel. »Dem einen oder anderen wäre es lieber gew e sen, wenn ich nie wieder aufgetaucht wäre.«
    Sie schaute auf. »Glaubst du, Onkel könnte vers u chen – «
    »Mich loszuwerden? Das wird er bestimmt. Aber Messer im Dunkeln sind nicht seine Art, etwas Derart i ges zu handhaben. Er wird mir weitere Angebote m a chen, Gold und Pferde und Ländereien, und irgendwann wird er feststellen, dass ich auch ohne all das wieder ve r schwunden bin.«
    Fee lehnte sich an ihn. »Er wird sehr überrascht sein.«
    Ihr

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