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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ins Verlies geworfen und nach einer Weile im Auftrag des Papstes verbrannt.
    Doch damit war die Bewegung, die er in Gang gesetzt hatte, noch lange nicht am Ende. Ein junger Mann, eben jener Dolcino, von dem ich sprach, setzte Gherardos Weg fort. Er behauptete nicht länger, er und seine Brüder und Schwestern seien die Nachfo l ger der biblischen Apostel, nein, er nannte sich selbst den einzigen wahren Apostel, und alle anderen seien ihm unterstellt.«
    Fee verzog das Gesicht. »Und von dem hast du dich bekehren lassen?«
    »Hör mir weiter zu. Unter Dolcinos Führung wurde die Gemeinschaft der Aposte l brüder zur Räuberbande. Damals sah ich das freilich anders. Ich glaubte ihm, wenn er von gottgewollter Armut sprach und davon, dass man sie zur Not auch mit Gewalt durchsetzen müsse. Wie gesagt, ich war verzweifelt und allein und – «
    »Und das entschuldigt alles?«, warf Fee ein.
    »Nein«, entgegnete er scharf. »Nichts entschuldigt das. Aber es vermag zu erklären, weshalb ich mich Do l cino und den Seinen anschloss. Du kannst mich dafür verurteilen« – er lächelte, ohne Heiterkeit – »oder setz es einfach auf die Liste all der anderen Dinge, für die du mich verabscheust, mein Kind. Aber, glaube mir, ich bin nicht stolz darauf, Dolcino vertraut zu haben. Ändern kann ich allerdings auch nichts m ehr daran. Also hör zu! Was ich dir jetzt erzähle, weiß kein anderer. Niemand, hörst du?«
    Sie wollte ihm versichern, dass sie nicht taub sei, und wenn er noch so oft darauf bestand, dass sie ihn anhörte. Aber schließlich nickte sie nur und wartete darauf, dass er weitersprach.
    »Vor fünfzehn Jahren ließ sich in Lyon ein neuer Papst ins Amt einführen, Clemens. Es gab einige Aufr e gung darüber, dass er eine Stadt so fern von Rom ausg e wählt hatte. Viele böse Worte fielen und es floss Blut zwischen seinen Anhängern und ihren Feinden. Dolcino gehörte natürlich zu letzteren, aber er war viel zu klug, sich und uns zwischen überlegenen Gegnern aufreiben zu lassen. Er wählte wie immer den geraden Weg – er b e schloss, Clemens zu ermorden.«
    »Ihr habt versucht, den Papst zu töten?« Fee hatte g e glaubt, dass er sie nach seinen ersten Worten nur noch schwerlich überraschen könne, doch jetzt war sie viel mehr als das: Sie war entsetzt. Burg Rheinfels war kein ausgesprochen christliches Haus – kein Wunder, bei e i ner Gräfin, die mehr oder minder offen dem Alten Gla u ben huldigte –, und Fee fühlte in sich keine Nähe zum Heiligen Stuhl oder dem, für das er stand. Aber ein A t tentat auf den höchsten Würdenträger der Kirche, auf den Stellvertreter Gottes, das vermochte sie trotz allem zu erschüttern.
    Doch da war auch noch etwas anderes, etwas, das sie fast mit noch größerem Schrecken erfüllte: Sie fühlte einen Anflug von Stolz. Ihr Vater war weit verwegener, als alle angenommen hatten. Und sie war die Einzige, die davon wusste. Er vertraute ihr!
    »Clemens’ Bruder war der Erzbischof von Lyon«, e r klärte er. »Clemens hielt sehr viel von ihm, und das war einer d er Gründe, weshalb er gerade diese Stadt für die Krönungszeremonie auswählte. Dolcino, ich und einige andere trafen schon Tage vor den Feierlichkeiten dort ein, wir erfuhren den genauen Weg der Festtagsprozess i on und schritten ihn ungezählte Male ab. Viele Pläne wurden geschmiedet, verrückte, waghalsige Heldenst ü cke, doch am Ende verwarfen wir sie alle und entschi e den uns für die einfachste Möglichkeit.
    Am Tag der Krönung versteckten sich Dolcino und ein paar andere hinter einer a l ten Mauer, während andere, darunter ich selbst, zwischen den Schaulustigen am Str a ßenrand warteten. Als der neue Papst und sein Tross die Stelle passierten, brachten meine Gefährten die Mauer zum Einsturz – sie war morsch und windschief, und es kostete wenig Mühe, sie zur Waffe unseres Anschlags zu machen. Clemens’ Bruder, der Erzbischof, und einer der Kardinäle wurden von den Trümmern erschlagen, doch der Papst entkam dem Tod um Haaresbreite. Wohl aber entfiel ihm seine Tiara, die man ihm eben erst aufs Haupt gesetzt hatte, und einer ihrer größten und schönsten Ede l steine brach aus seiner Fassung und ging in all dem Au f ruhr verloren. Ich selbst und der Rest unserer Leute, die sich unter das Volk gemischt hatten, wollten dem Heil i gen Vater inmitten der Aufregung, der Verschütteten und Verletzten, den Garaus machen, doch wir kamen nicht an ihn heran. Er war mit weit mehr Beschützern angereist, als

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