Loreley
Vater gab keine Antwort, und in der Stille konnte sie hören, wie sein Herz schlug.
8. Kapitel
Ailis kämpfte gegen die Schatten an der Wand von E r lands Schmiede. Spielerisch wirbelte sie das Schwert in ihrer Hand vor und zurück, ließ es um ihren Oberkörper kreisen, machte Ausfälle gegen den dunklen Umriss des Schmiedes an der Wand, wich unsichtbaren Attacken aus, drehte sich blitzschnell um sich selbst, sprang schließlich vor und rammte die Klinge mitten in Erlands Schatten. Vibrierend blieb das Schwert in einer Mauerf u ge stecken.
»Wenn du so weitermachst, wird die Klinge stumpf und schartig sein, bevor sie zum ersten Mal einen echten Gegner gesehen hat«, brummte Erland hinter Ailis’ R ü cken.
Sie wandte sich um und grinste. »Wenigstens hat sie jetzt schon jemanden gesehen, der mit ihr umgehen kann.«
»Werd mir nicht übermütig, Fräulein.« Der Schmied drohte ihr mit dem Hammer. »Sonst wirst du mal einen echten Gegner erleben.«
Ailis zog das Schwert aus der Mauer und betrachtete die Klinge. »Nicht einmal ein Kratzer. Es mag schlecht e re Schmiede geben als dich, Erland.«
»Du brauchst mir nicht zu schmeicheln. Du wirst den Dolch des Grafen trotzdem schleifen, bevor du durch diese Tür gehst.« Er deutete zum Ausgang. Draußen war es stockdunkel, der Burghof hatte sich geleert.
Ailis seufzte. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht bin ich d och keine so großartige Schwertkämpferin. Schlie ß lich ist der Schatten, mit dem ich es zu tun hatte, ung e wöh n lich groß und fett und – «
Erlands grölendes Lachen schnitt ihr das Wort ab. Es geschah viel zu selten, dass er so fröhlich war. »Was würde ich nur ohne dich machen, Mädchen!«
Es war das erste Mal, dass er so etwas zu ihr sagte. Verwundert sah sie ihn an. Meinte er das ernst?
»Nun glotz nicht so«, knurrte er, lächelte aber dabei. »Es stimmt schon, du hast dich gut gemacht, Ailis. Ich könnte mir keinen besseren Gesellen wünschen.« Er ru n ze l te die Stirn. »Na ja, vielleicht wenn deine Arme ein wenig dicker und kräftiger wären …«
»Die Leute sagen jetzt schon, ich sähe aus wie ein Mann.«
»Wer das sagt, ist dumm. Schau dir nur die dürren Weiber an, die den ganzen Tag im Hof auf und ab ma r schieren. Pfui Teufel! Deine Freundin, das edle Fräulein, liebe Güte … nur Haut und Knochen! Die würde so ein Schwert nicht mal hochheben kö n nen.«
»Fee ist wunderschön«, widersprach Ailis, und Trotz funkelte in ihrem Blick.
»Nicht für mich.«
»Du bist auch kein normaler Mann.«
Einen Moment lang fürchtete sie, ihre Worte könnten ihn beleidigt haben. Doch E r land lachte schon wieder.
Dann sagte er: »Mach dich wieder an die Arbeit. Oder willst du heute überhaupt nicht mehr fertig werden?«
Ailis legte das Schwert zu den fünf anderen, deren Griffe sie am Nachmittag mit gegerbten Darmschlingen umwickelt hatte. Alles hervorragende Waffen, fand sie. Jede einzelne hatte sie in der Hand gewogen und auf Schärfe und Härte g eprüft. Die Soldaten und Ritter, für die sie gedacht waren, durften sich glücklich schätzen.
Sie nahm den neuen Dolch des Grafen zur Hand und begann, die Schneide mit e i nem Stein zu schärfen. Dazu setzte sie sich auf einen Hocker, ganz in der Nähe von Erlands Schmiedefeuer. Hier war es warm wie an einem der Kamine im Haupthaus, und sie spürte, wie sich B e haglichkeit in ihr breitmachte. Sie fühlte sich heute au s gespr o chen wohl in der Gesellschaft des Schmiedes. So musste es sein, wenn man eine Fam i lie hatte, die einen liebte und für einen sorgte. Erland war ihre Familie, z u mindest eine Hälfte davon. Die andere war Fee.
Schmerzhaft überkam sie die Erinnerung an ihren Ve r trauensbruch, an den Die b stahl der Münze. Was würde Erland tun, falls er je davon erfuhr? Wahrscheinlich gar nichts. Er würde sie nur traurig aus seinen dunklen Hu n deaugen anblicken und schwe i gend den Kopf schütteln. Und er würde wissen, dass das eine viel schlimmere Str a fe für sie wäre als eine Ohrfeige oder Standpauke. Er kannte sie mittlerweile besser als jeder andere, Fee vie l leicht ausgenommen, und trotz seiner bärbeißigen, gr o ben Art wusste er sehr wohl um ihre Empfindlichkeiten. Was sie erfreute, was ihr zuwider war und womit er j e den Gefallen aus ihr herauskitzeln konnte – Erland durchschaute sie. Eigenartige r weise fühlte sie sich gerade deshalb so wohl in seiner Nähe. Nicht einmal jene Nacht, als sie ins Gebälk der Schmiede geklettert war und b e
Weitere Kostenlose Bücher