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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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erhobenem Kopf in die Diele.Hier sah es anders aus als bei den Herrmanns! Im Haus am Neuen Wandrahm war gut zu erkennen, daß die Diele einmal das Zentrum des Handels gewesen war. Diese hier war der Vorraum eines vornehmen, nach der Mode umgestalteten Wohnhauses. Eine elegant geschwungene Treppe mit sparsam geschnitztem Geländer aus poliertem Mahagoni führte in die oberen Stockwerke, eine Standuhr aus dem gleichen Holz und eine gepolsterte, mit sandfarbenem Damast bezogene Ruhebank machten die Diele wohnlich. Das hohe, zweiflügelige Fenster neben dem Treppenaufgang gab den Blick auf einen kleinen Garten voller von Buchsbaum eingefaßter Beete und Rondelle um eine große Buche frei, deren herbstlich goldenes Laub trotz des trüben Himmels zu lodern schien.
    Gerade als das Mädchen ihr die Tür zum Empfangssalon auf der linken Seite der Diele öffnete und bat, Mademoiselle möge dort warten, öffnete sich die schmale Tür neben dem Fenster, die in solchen Häusern gewöhnlich in die Küche im Souterrain führte, und Melcher trat in die Diele. Rosina hatte nicht daran gedacht, daß sie ihn treffen könnte, und er erschreckte sie zutiefst. Aber er warf ihr nur einen kurzen Blick zu, neigte höflich den Kopf, wie es sich für einen Kutscher vor dem Besuch seiner Herrschaft gehörte, und verließ das Haus durch das vordere Portal.
    Rosina ließ sich erschöpft auf einen der Stühle im Salon sinken. Aber immerhin, in seinem Blick war kein Erkennen gewesen. Woher hätte er sie auch kennen sollen? Und wie konnte er ahnen, was sie hier wollte? Rosina zog Anne Herrmanns’ Samtumhang fester um ihren Körper. Es war kalt, der Salon wurde offenbar nur selten benutzt.
    Auf dem Weg durch die Stadt hatte sie sich genau überlegt, wie sie anfangen, wie sie erklären wollte, warum sie mit Mrs.   Bellham sprechen mußte.
    Sie war zu unruhig, um sitzen zu bleiben. Sie erhob sich und betrachtete das Gemälde an der Wand über dem Kamin. Es zeigte einen Tisch, auf dem neben einer schlanken, in reichzieseliertes Messing gefaßten Karaffe und zwei halbgeleerten Gläsern Trauben, Pfirsiche und angeschnittene Zitronen lagen, garniert mit Laub, einem mächtigen Hirschhornkäfer und einer großen schimmernden Muschel. Daneben ließ ein toter Schwan seinen langen, schlanken Hals über die Tischkante hängen. Dieses Bild, so kunstvoll es sein mochte, hätte sie auch in einen selten benutzten Raum gehängt. Links und rechts davon starrten zwei strengblickende Herren mit fülligen Gesichtern unter mächtigen Perücken auf sie herab. Zwischen den Fenstern zur Großen Reichenstraße hinaus hielt ein Messingleuchter zwei frische Wachslichter, und darunter hing ein weiteres Porträt, eine Miniatur nur und anders als die der beiden grimmigen Herren noch nicht sehr alt. Es zeigte das Gesicht eines Mädchens, das Rosina vage vertraut vorkam.
    «Ich habe mich inzwischen ein wenig verändert», sagte da eine kühle Stimme, und Rosina erschrak, als sei sie bei etwas Verbotenem ertappt worden. Der Lärm eines vor den Fenstern vorbeirumpelnden, mit Bierfässern hochbeladenen Fuhrwerks hatte Mrs.   Bellhams Eintreten übertönt.
    Sie kam näher, beugte sich nahe an die Miniatur und lächelte. «Es ist lange her, daß dieses kleine Bild gemalt wurde. Es ist mir lieb, aber es gefällt mir trotzdem nicht. Nun, Mademoiselle   …» Sie stockte für einen Atemzug und sah Rosina neugierig an. «Mademoiselle Hardenstein? Oder Mademoiselle Rosina? Euer Gesang hat mir gestern ausnehmend gut gefallen. Ich singe selbst recht gern. Allerdings nicht vor Publikum, das werdet Ihr Euchdenken können, und auch ein wenig andere Lieder. Aber nun bin ich gespannt, was Euch so früh zu mir führt. Doch wartet, es ist recht kalt hier. Wenn Ihr mir in meinen privaten Salon folgen wollt? Dort brennt schon ein Feuer, und es ist auch ruhiger.»
    Ohne Rosinas Zustimmung abzuwarten, schritt sie hinaus in die Diele, raffte nachlässig den Rock ihres nach englischer Art schmalen Hauskleides aus geschmeidigem Kattun in der Farbe reifer Hagebutten mit hauchzarten weißen Streifen und ging mit kurzen, aber eiligen Schritten voraus die Treppe hinauf. Im zweiten Stock bog sie in einen Flur ab, der an mehreren Türen vorbei in den hinteren Teil des Seitenflügels führte und nur durch ein kleines Fenster zum Gang vor dem Nachbarhaus erhellt wurde. Dann öffnete sie eine Tür, es schien Rosina die letzte zu sein, und betrat den Raum, den sie ihren privaten Salon genannt hatte. Er war nicht

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